Rehabilitation

Obdachlos sein, keine Papiere haben und auf der Strasse leben – das hat schreckliche Konsequenzen.
Wissen Sie, um sich der erbarmungslosen Realität zu stellen, konsumieren wir häufig gepanschten Alkohol. Manchmal nehmen wir auch synthetische Drogen. Sehr oft werden wir dann süchtig. Das erzählt uns Timofeeus (Name erfunden), den wir am jährlichen Treffen der ehemaligen Obdachlosen getroffen haben.

Ein teuflischer Cocktail
Es ist noch kein Jahr her, seit Timofeeus in der Nähe des Bahnhofs Ligovo dahinsiechte. Dort lernte er den Nachtbus und Nochlechka kennen.
Jahrelang vegetierte ich in der Umgebung des Bahnhofs dahin, zusammen mit einigen anderen Leidensgenossen. Mein Alltag bestand darin, nicht zu verrecken – und alles zu unternehmen, um vor meiner misslichen Lage die Augen zu verschliessen. Wir tranken Alkohol aus dubiosen Quellen. Wir durchsuchten die Abfalleimer der Restaurants, der Bahnhofsapotheken, der Supermärkte und sammelten auch liegen gelassene Flaschen ein, die wir auf der Strasse fanden. Dann mischten wir alles zusammen. Der Geschmack dieser Gesöffe war meist abscheulich, aber die Wirkung trat ein: Wir konnten unseren Zustand vergessen. So erzählt es uns Timofeeus.
Ich weiss nicht warum, aber vor dem Nachtbus habe ich plötzlich begriffen, dass es für mich eine einmalige Gelegenheit gab, um zu versuchen, aus dieser Lage herauszukommen. Und so kam ich ins Wiedereingliederungszentrum.

Streng geregelter Alltag
Es war ganz schön happig. Das kann ich Ihnen sagen. Echt, es war überhaupt nicht einfach. Vor allem die Entwöhnungskur. Mein Körper hat eine schwierige Zeit durchgemacht. Es war sehr hart!
Ausserdem ist die strenge Disziplin, die von uns verlangt wird, eine so grosse Veränderung im Vergleich zu unserem Vagabundenleben, dass wir Mühe haben, sie zu akzeptieren. Oft passiert es, dass man schwach wird, aber eine zweite Chance gibt es nicht. Es braucht nicht viel, bis man rausgeworfen wird. Es stimmt schon: Ohne derart drakonische Massnahmen könnte die Rehabilitation unseres Körpers und unseres Gehirns nicht stattfinden. Und wenn Nochlechka unsere Rückfälle dulden würde, müsste die ganze Gruppe darunter leiden.

Rauskommen
Im Jahr 2019 hat Nochlechka ein Wiedereingliederungszentrum namens „Auf halben Wege“ eröffnet. Es kann maximal 14 Personen aufnehmen. Diese erhalten Betreuung, Unterkunft und Verpflegung. Die Maximaldauer des Aufenthalts beträgt sechs Monate.
Das Rehabilitationsprogramm entspricht den Prinzipien des Vereins der Anonymen Alkoholiker. Es umfasst Einzel- und Gruppensitzungen mit Suchtberatern und Psychologinnen. Die täglichen Versammlungen der Teilnehmer/-innen werden von Beratern geführt sowie von ehemaligen süchtigen obdachlosen Sans-Papiers, die ihre Sucht überwunden haben.
Hinzu kommt, dass die Anwälte von Nochlechka jeder Person helfen, ihre juristischen und administrativen Probleme zu lösen und ihr damit die zukünftige Wiedereingliederung in einen menschenwürdigeren Alltag erleichtern. Beim Austritt erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Diplom. Mit der Unterstützung von Nochlechka finden sie oft eine Arbeit und auch ein Zimmer zur Miete.

Ein Picknick der Hoffnung
Am letzten Augustwochenende dieses Jahres haben sich etwa dreissig von den 110 Personen getroffen, die in den letzten vier Jahren das Wiedereingliederungszentrum mit einem Diplom verlassen haben.
Das war die Gelegenheit, die neuen Lebenserfahrungen auszutauschen und sich an die trübe Vergangenheit zu erinnern, die noch gar nicht so lange her war.
Jedes Jahr organisiert Nochlechka ein solches Treffen, um die „Ehemaligen“ zusammenzubringen, erzählt Vika Ursova, die Verantwortliche der Resozialisierungsprojekte und Organisatorin dieses Anlasses. Wir haben Musiker eingeladen, Kebab gegessen, Gesellschaftsspiele gespielt und uns mit den Leuten unterhalten.
Wir versuchen, den Kontakt mit den wieder in die Gesellschaft integrierten Menschen nicht zu verlieren. Wir telefonieren regelmässig mit ihnen. Ausserdem sind auch diese Treffen Teil der Begleitung, die unser Sozialdienst anbietet.

Solche Kontakte ermöglichen es uns, zu hören, wie es ihnen geht und ob sie Hilfe brauchen. Die Erfahrungen, die sie bei der Reintegration machen, und die Berichte, die sie über ihre aktuelle Lebenssituation abgeben, sind für uns sehr nützlich, um die Ratschläge, die wir den „Neuen“ geben, anzupassen oder zu verbessern, ergänzt Vika Ursova.

Unsere Aufgabe ist riesig. Helfen Sie uns, Leben zu retten!

Wichtig: Trotz der Tücken des Boykotts ist es uns immer noch möglich, Ihre finanzielle Unterstützung weiterzuleiten.

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