Priviet Igor, hallo.
Igor, humpelnd, bewegt sich vorwärts, indem er sein linkes Bein nachschleift,mit besorgter Miene vom freiwilligen Arzt beobachtet, der diesen Abend den Nachtbus begleitet.
Das Martyrium
Das von eitrigen Geschwüren übersäte Bein ist nicht schön anzusehen.
In der feuchten Kälte, ohne Wärme und ohne Möglichkeit, seine Hygiene zu pflegen, heilen seine Wunden extrem langsam oder heilen gar nicht, sagt Artem. Im Winter durchleiden viele Obdachlose ein Martyrium.
Wir befinden uns in der Umgebung der Bahnstation Ligovo, das Thermometer zeigt minus fünf Grad. Artem nimmt sich der Wunden an, reinigt und desinfiziert sie, bindet sie ein.
Wohnung, Flasche, Strasse
Stoisch erzählt uns Igor kurz sein Leben.
Vor zehn Jahren hatte ich alles: eine Frau, zwei Söhne, eine Wohnung, ein Auto, mein eigenes Unternehmen, ziehmlich erfolgreich. Irgendwann wurde das „langweilig“. Ich begann, mich in den Tavernen herumzutreiben und zu trinken. Die Streitereien mit seiner Frau haben begonnen, schlussendlich haben sie die Scheidung verlangt. Die Familie hat sich verstreut. Von der Wohnung habe ich in eine Untermiete gewechselt, schliesslich schlief ich in meinem Auto, schlussendlich landete ich auf der Strasse.
Artem: obwohl wir es annehmen könnten, ist Igor nicht repräsentativ für die Gründe der Obdachlosigkeit.
Nur 7.2% unter ihnen kamen so weit wegen des Alkohols. Die andern, alle andern, sind Opfer verschiedener Gründe, meistens administrative.
Von allem ausgegrenzt
Nicolai, Weggefährte von Igor, hört uns zu, während er darauf wartet, gepflegt zu werden, auch er mit Geschwüren.
Kürzlich bin ich in den Park gegangen, sagt uns Nicolai, wo die Leute ihre Spiesschen braten, mit der ganzen Familie Fahrrad fahren. Ich schaute ihnen wehmütig zu, ich fühlte mich so sehr aus ihrem Kreis ausgegrenzt.
Ich möchte so gerne wieder in die Gesellschaft zurückkehren, in die Gesellschaft, wiederholt er.
Ich fühle mich total insichtbar. Welch eine Verzweiflung, dabei gibt es kein Mittel, sie zu überwinden.
Eine immense Aufgabe
Artem verteilt den Obdachlosen das Informationsblatt von Nochlechka. Sie haben gesehen, sagt er, wie ich nur an dieser einen Bushaltestelle vier Obdachlose mit schweren Entzündungen verpflegt habe. Zweifellos wird es auf gleiche Art weitergehen auf unserer Tour. Und wir wissen, dass das, was wir tun, lediglich ein Tropfen auf den heissen Stein ist.
Stellen Sie sich die über sechzigtausend Obdachlosen vor, fast alle im Stich gelassen.
Helfen Sie uns, Leben zu retten.