Zu selten fragt man leider die Obdachlosen danach, auf welche Weise man ihnen helfen kann, erklärt Daria Baibakova, die Verantwortliche von Nochlechka in Moskau.
Und sie fügt an : Wo sind die Grenzen der Unterstützung der Obdachlosen, wie kann man sie definieren ? Muss man einem Obdachlosen auch gegen seinen Willen helfen, weil man weiss, dass es nur zu seinem Besten ist ? Nicht immer ist es einfach, eine klare Antwort auf diese Fragen zu erhalten.
Wider Willen ?
Kürzlich habe ich eine Mitteilung von Lida Moniava, einer Spezialistin für Palliativpflege, gelesen, fährt Daria fort.
Lida Moniava erklärte, dass sie immer bereit war, schwer kranken Menschen zu helfen, auch wenn sie nicht kooperieren wollten. Ihre Maxime war, nach Mitteln zu suchen, um eine Verständigung mit den Kranken zu ermöglichen, damit man sie besser betreuen konnte.
Aber kürzlich ist Lida Moniava zur Auffassung gelangt, dass es nicht möglich ist, jemandem zu helfen, der nicht will, dass man ihm hilft.
Eine Gewissheit, die man nicht so einfach umsetzen kann, wenn man einer leidenden Person gegenübersteht steht.
Lida Moniava ergänzt : Obwohl wir viele unterschiedliche Fälle antreffen, kann das Organisieren der Unterstützung eines Obdachlosen im Allgemeinen sehr ähnlich sein.
Mit offenen Karten spielen
Für Daria Baibakova ist es selbstverständlich, dass die Transparenz ganz wesentlich ist. Sie bildet die Basis des Vertrauens und der Planung einer individuellen Begleitung. Sie ist die Grundlage jeder Vorgehensweise und soll es einem obdachlosen Sans-Papiers ermöglichen, seine Unabhängigkeit schon bei der ersten Begegnung mit Nochlechka zum Ausdruck zu bringen.
Es ist wichtig, dass wir daran denken, sagt Daria, und diese Optik auch später beibehalten. Das ist nicht immer selbstverständlich, wenn man an die sozialen Notfälle denkt, die eine sofortige Intervention nötig hätten.
Dies passiert vor allem auf der Strasse, beim Nachtbus und bei der Essensausgabe. Es ist nämlich nicht immer einfach, ein Gespräch zu beginnen. Sehr oft fehlt uns dazu die Zeit, denn unsere Tour unterliegt einem strengen Zeitplan. Dazu kommt noch, dass ein Obdachloser in einem solchen Moment auch völlig verschlossen sein kann.
Was halten sie davon ?
Um dieses Problem zu mindern, verteilt der Nachtbus Flyers, damit jede notleidende Person zu unserem Empfangszentrum kommen kann, wo wir genügend Zeit haben, ihr zuzuhören, erklärt Daria. Ausserdem haben wir dort auch einen Briefkasten eingerichtet, wo unsere Kunden ihre Anregungen und ihre Meinungen deponieren können. Ein- bis zweimal pro Monat leeren wir den Briefkasten, lesen die Schreiben und antworten jedem Schreibenden. Damit jede und jeder auf dem Laufenden ist, hängen wir alle Antworten auch im Warteraum auf.
Mit ihnen
Auf diese Weise haben wir auch den Ort der dritten Haltestelle des Nachtbusses festgelegt, sagt Daria Baibakova.
Dank den Bemerkungen unserer Kunden haben wir heutzutage ebenfalls Personalberater/-innen und zudem eine Sozialhelferin am internationalen Frauentag. Ausserdem gibt es neuerdings USB-Anschlüsse, eine Uhr im Warteraum, Bänke und Tische im Freien und viele andere Dinge, die sich als notwendig erwiesen haben, aber an die wir zuerst gar nicht gedacht haben.
Natürlich ist nicht alles optimal. Es gibt zahlreiche kritische Anmerkungen zu unserem Betrieb. Viele obdachlose Sans-Papiers murren, dass wir nicht schneller und effizienter arbeiten.
Diese negativen Kommentare helfen uns immerhin, besser zu werden. Und sie zeigen vor allem, dass die Obdachlosen durchaus willens sind, sich selbst um ihre Wiedereingliederung zu bemühen.
Es ist eindeutig so, erklärt Daria Baibakova : Eine obdachlose Person weiss selbst am besten, was sie nötig hat.
Nochlechka ist nur dazu da, die Leute bei ihrem Vorhaben zu unterstützen und es ihnen zu ermöglichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Existenz zu finden.
Unsere Aufgabe ist riesig. Helfen Sie uns dabei, mehr Menschlichkeit zu schenken.
Wichtig : Trotz der Tücken des Boykotts ist es uns immer noch möglich, Ihre Unterstützungsbeiträge zu überweisen.