
Ich komme aus der Bank raus, nachdem ich dort Geld für die Miete abgehoben habe. Ich werde überfallen und man stielt mir die Tasche. Völlig aufgelöst gehe ich zum Hausbesitzer. Aber der hat kein Verständnis. Er gibt mir 24 Stunden, um den Betrag für die Miete aufzubringen, sonst will er mich auf die Strasse stellen.
Erbarmungslos
Wie soll ich das machen, wenn ich doch keine Bankkarte und keine Identitätskarte mehr habe? Und niemanden, der mir aus der Patsche helfen könnte.
Auf dem Polizeiposten muss ich jammern und betteln, damit sie überhaupt den Diebstahl erfassen, da ich ja keine Identitätspapiere habe.
Trotz der polizeilichen Bescheinigung bleibt der Vermieter unerbittlich. Am Tag drauf stehe ich auf der Strasse, verzweifelt und völlig verlassen. Ich bin nicht mehr ganz jung, werde bald 76 Jahre alt, erzählt Lydia, und ihre Stimme zittert immer noch vor Erregung.
Strapazen
Der Hausbesitzer hat sogar alle meine spärlichen Möbel konfisziert, um die Abnutzung des Zimmers zu bezahlen, wie er behauptete.
Ich bin dann mehr als sechs Monate herumgezogen und versuchte zu überleben. Ausserdem habe ich Probleme mit der Lunge. Letzten Winter hatte ich eine starke Lungenentzündung. Wegen der Feuchtigkeit im Sommer habe ich grosse Mühe zu atmen und mich zu bewegen. Ich schlief mal da, mal dort, je nachdem, wo ich gerade war, wenn es Nacht wurde. Kein Zweifel, auf diese Art würde ich nicht lange überleben können.
Per Zufall stiess ich eines Abends beim Bahnhof Ligowo zufällig auf den Nachtbus.
Ein Zufluchtsort für die Alten
An diesem Abend untersuchte mich eine freiwillige Krankenpflegerin und ich wurde sofort zu Nochlecka gefahren.
Im Aufnahmezentrum wurde mir gleich am nächsten Tag mitgeteilt, dass ich in ein Heim transferiert würde, das speziell für ältere obdachlose und papierlose Menschen geschaffen worden sei. Und so kam ich nach Siwerski. Was für eine Entdeckung! Ein gepflegtes Haus mit einem hübschen Garten.
Sie sagten mir, dass demnächst ein Arzt vorbeikäme, um mich zu untersuchen.
Eine Utopie ist Wirklichkeit geworden
Die älteren obdachlosen Sans-Papiers sind eine eigene Kategorie. Sie brauchen spezielle Aufmerksamkeit, erklärt Kirill Karew, der Verantwortliche für die humanitären Aktionen.
Wir wussten, dass unser Aufnahmezentrum in Sankt Petersburg überhaupt nicht den Anforderungen gerecht wurde, welche die Gruppe der alten, oft invaliden Menschen braucht.
In der Borowaja ist die Struktur des Gebäudes völlig ungeeignet für solche Leute. Wir mussten ein passendes Haus für sie bauen. Das war alles andere als einfach, aber Ende November 2022 konnten unsere ersten Senioren den Ort einweihen.
Seither wohnen etwa fünfzehn Pensionärinnen und Pensionäre dort.
Wir schauen, dass sie ihre Identitätspapiere wieder bekommen, helfen ihnen wenn möglich, ihre ehemalige Wohnung zurückzuerhalten oder einen Platz in einem Pflege- oder Altersheim zu finden.
Klar, fünfzehn älteren Personen eine Unterkunft zu verschaffen, das ist ein Tropfen auf den heissen Stein, sagt Kirill Karew. Ausserdem sind wir die einzige Organisation in Russland, die sich um diese Kategorie von Obdachlosen kümmert.
Ein komfortables Heim
Unser Zentrum umfasst vier Zimmer, einen grossen Aufenthaltsraum, eine geräumige Küche, eine Waschküche und ein Büro für die Sozialarbeiterinnen.
Es ist durchwegs rollstuhlgängig. Jedes Zimmer kann maximal 4 Personen beherbergen.
Es werden verschiedene Therapien angeboten, um die physische und psychische Gesundheit der Pensionäre wiederherzustellen.
Einige Personen müssen lange auf die ihnen zustehende Pension warten, damit sie in ein Altersheim eintreten können oder damit ihre Behinderung anerkannt wird.
Die Wartezeit kann Monate oder sogar Jahre dauern.
Hören Sie das Vogelgezwitscher? Riechen Sie den Duft von frisch geschnittenem Gras? Glauben Sie, dass ich sowas jemals spürte, als ich in den Strassen umherirrte? Hier ist das Paradies, ruft Lydia aus.
Unsere Aufgabe ist riesig. Helfen Sie uns, damit diese Menschen wieder Hoffnung schöpfen können.
Wichtig: Trotz des Boykotts ist es uns weiterhin möglich, Ihre finanzielle Unterstützung weiterzuleiten.