Es ist verrückt

In Moskau hat das erste Empfangszentrum für obdachlose Sans-Papiers seine Tore geöffnet. Eines der wichtigsten Ereignisse im Kampf gegen die Armut und für die Überlebenshilfe.

Ja, es ist verrückt, sagt uns Daria Baibakowa, Direktorin von Nochlechka Moskau. Daria hat eben das gelbe Band durchschnitten, Symbol der Eröffnung dieses langerwarteten Ortes.
Der erste Ort in Moskau, der obdachlose Sans-Papiers aufnimmt und ihnen ermöglicht, ein weniger unmenschliches Leben zu führen.

An diesem 31. Juli 2020 kommt Daria auf die Monate zurück, die diesem ausserordentlichen Moment vorausgingen.

Eine unnachgiebige Beharrlichkeit
Die Realisierung unseres Projektes hat nicht nur unsere physischen und moralischen Kräfte getestet, sie hat unsere Geduld hart geprüft.
Sie hat hauptsächlich aufgezeigt, wie sehr uns dieses Projekt ans Herz gewachsen ist, weil wir wussten, dass es von vitaler Wichtigkeit für hunderte von Leuten auf der Strasse ist.
Das gelbe Band in meiner Hand symbolisiert auch alle Unterstützung, die wir erhalten haben und ich bin mir einmal mehr bewusst, dass ich einen Traumjob habe. Ich habe das Glück, dass sich das in meinem Leben ereignet.

Ein Readaptations-Zentrum
Anlässlich der Besetzung dieses Direktionspostens vor zwei Jahren und meiner ersten Gespräche mit Grischa (Grigory Swerdlin) habe ich die Wichtigkeit unterstrichen, die ich der systematischen und globalen Lösung der Probleme beimesse. Nochlechka verkörpert genau das.
Keine Einzelprojekte, die Nichtregierungs-Organisation stellt ein komplettes Hilfssystem für die betrofffenen Personen zur Verfügung.
Unser kleiner Zufluchtsort in Moskau bietet ebenfalls ein „Readaptions-Zentrum“ an, wo Sie eine gewisse Zeitspanne leben können, Hilfe von Juristen, Sozialarbeitern und Psychologen erhalten, ihre Probleme lösen und so in eine weniger unsichere Existenz zurückkehren können.

Die Indifferenz der Behörden, ein harter Kampf
In ihrer dreissigjährigen Tätigkeit hat Nochlechka ein Hilfsprogramm entwickelt, dank dem mehr als die Hälfte unserer obdachlosen Sans-Papiers ihr Umherirren beenden konnte.
Das Absurdeste dabei ist, dass wir zur Erreichung dieser Resultate fast immer mindestens gegen die Interesselosigkeit der Behörden, der Politiker kämpfen mussten. Mehr noch, esh wurde uns systematisch Sand ins Getriebe gestreut.
Für mich war der in Moskau geführte Kampf eine schmerzliche, aber wertvolle Erfahrung.
Ich erinnere mich an die beiden Versammlungen mit den Bewohnern von Begowoy, dem Quartier, wo wir uns befinden. Psychologisch war dies aussergewöhnlich und sehr schwierig, ich war umgeben von Leuten, die mich anschrien. In diesen Momenten musste ich fast sämtliche meine Kräfte dafür aufwenden, um mich zurückzuhalten und nicht in Tränen auszubrechen.
Ich weiss wirklich nicht, weshalb sich die Leute Fragen stellen, weshalb sollten sie uns nicht einfach vertrauen können? Ihre Bedenken betreffend Unordnung, Sicherheit und gesundheitsschädigenden Bedingungen dort, wo die Obdachlosen wohnen…so viele Unbekannte beschäftigen die Bevölkerung.
Dies umso mehr, als das Image der Obdachlosen so negativ ist, dass man sich fragt, ob sie von menschlichen Wesen sprechen.

Todesdrohungen
Die brutalen Drohungen dagegen verstehe ich nicht und akzeptiere sie auch nicht. Sie haben mit dem Tod gedroht, haben gedroht, die Lokale anzuzünden, die Leute zu schlagen, die zu uns kommen.
Ich will glauben, dass die Mehrheit dieser Drohungen emotionale Ausbrüche sind, nichts mehr.
Aber für den Fall der Fälle bewachte jemand rund um die Uhr unser Zentrum. Heute haben wir ein Videoüberwachungs-System. Man weiss ja nie.
Man muss sagen, dass gewisse politische Deklarationen Extremisten aufwiegeln können. Ich denke dabei an die moskauer Stadträtin Zoya Andrianowa, die schlicht und einfacht zur Zerschlagung von Nochlechka aufruft.

Ich bin guter Laune
Nie habe ich daran gedacht, aufzuhören. Wie ich erwähnte, ist das Ziel dermassen wichtig, dass man seine Ängste überwinden muss.
Man muss auch sagen, dass ich ausgesprochen hartnäckig bin, ich betreibe den Boxsport und vor allem Ballet, beide verlangen einen eisernen Willen.
Diese Energie ist unabdingbar, man darf auf keinen Fall ein Träumer sein. In zehn Jahren wird sich die Problematik der Obdachlosigkeit in Russland nicht verbessern, solange das Thema nicht auf der Agenda der Macht steht.

In zehn Jahren?
Und trotzdem möchte ich, dass die Hilfsprojekte für die Obdachlosen in einem Jahrzehnt in der sozialen Infrastruktur der Stadt integriert sein werden, dass das Diktat der Propiska abgeschafft ist, dass die Familien der Obdachlosen nicht mehr stigmatisiert sind, dass ihre Kinder gepflegt werden können, eine Ausbildung erhalten, dass diese gesamte verarmte Bevölkerung Zugang hat zu allen der Bevölkerung angebotenen Möglichkeiten.

Unterstützen Sie uns, unsere Aufgabe ist immens, Sie retten Leben.

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