Nicht immer ist es einfach, eine freiwillige Helferin oder ein freiwilliger Helfer zu sein. Die Unterstützung obdachloser Sans-Papiers ist nicht unbedingt eine dankbare Aufgabe.
Lena berichtet uns über ihre ersten Tage im Team von Nochlechka und über ihre ersten Kontakte mit den Menschen, die auf der Strasse zu überleben versuchen.
Pausenlos an der Arbeit
Bei Nochlechka zu arbeiten ist nicht so einfach, wie ich gedacht habe. Schon lange wollte ich in der Organisation mitwirken und meinen Teil zur humanitären Unterstützung beitragen.
Am ersten Tag im Aufnahmezentrum in Moskau, bei den Duschen, fühlte ich mich etwas verloren. Sie müssen sich das folgendermassen vorstellen: Zuerst ruft man aus einer lärmigen Menge diejenigen auf, die Anrecht auf eine Dusche haben, teilt ihnen mit, wann sie an der Reihe sind, verteilt Bademäntel, Duschtücher und Badeschuhe in der richtigen Grösse. Dann hilft man ihnen, ihre Klamotten in die Waschmaschine zu füllen, das Waschmittel beizugeben und das gewünschte Programm zu wählen, so dass ihre wenigen Kleidungsstücke nicht beim Waschen Schaden nehmen. Ist der Waschvorgang zu Ende, füllt man die Wäsche in den Trockner und startet wiederum das passende Programm.
Wir übernehmen die Programmwahl jeweils selber, damit unsere Maschinen nicht durch eine falsche Benutzung beschädigt werden.
Zwischen zwei Wasch- bzw. Trocknungsvorgängen achte ich darauf, dass unsere Schützlinge nicht mehr als 20 Minuten unter der Dusche bleiben, damit alle an diesem Tag eingetragenen Personen duschen können. Und auch, damit wir nicht zu viel Wasser und Strom verbrauchen.
Alles zugleich
Gleichzeitig kümmere ich mich um die verschiedenen Anliegen der Leute, leihe da eine Schere aus, gebe dort ein Pflaster ab, bringe Zucker für den Tee oder schalte den Fernseher ein. Es ist ausserordentlich wichtig, auf all diese Bedürfnisse einzugehen, erklärt Lena, die fast ausser Atem ist, nachdem sie uns so viele Aufgaben aufgezählt hat.
Aber mit der Zeit habe ich mich langsam an die Arbeit gewöhnt.
Heute ist der Tag, der für die Frauen reserviert ist. Ich kenne bereits fast alle beim Vornamen, auch ihre Macken kenne ich langsam.
– Ludmilla kommt immer mit vier grossen Taschen beladen, die ihr ganzes Leben enthalten. Jedes Mal drängt sie sich mit der ganzen Bagage in die Duschkabine. Ich brauche viel Geduld, wenn ich ihr jedes Mal erklären muss, dass niemand ihre Sachen stehlen werde, dass sie alles ohne Angst ausserhalb der Kabine lassen könne.
– Marina wartet immer zu lange, bevor sie endlich zur Dusche geht. Sie trinkt ruhig ihren Tee aus, cremt sich sorgfältig das Gesicht ein und schwatzt. Immer wieder muss ich sie ermahnen, dass noch ein Dutzend Frauen warten, bis sie auch an die Reihe kommen.
– Rose bringt es nie fertig, sich innerhalb von zwanzig Minuten zu duschen. Ich muss sie immer wieder daran erinnern, dass sie sich beeilen muss. Rose ist eine verwirrte Frau, die irgendwo beim Proletarski Prospekt in einem leerstehenden Haus lebt. Wenn sie geduscht hat, bittet sie uns jedes Mal um eine Bescheinigung. Nochlechka gibt den obdachlosen Sans-Papiers ein solches Dokument ab, damit sie nicht von der Polizei behelligt werden. Wir fragen uns, was Rose mit all diesen Papieren macht. Aber unsere Sozialarbeiter drucken halt immer wieder eines aus.
Es spielt keine Rolle, ob diese Bescheinigung der Hauptgrund dafür ist, dass Rose immer wieder zu uns kommt. Wichtig ist, dass sie kommt und wir ihr helfen können.
– Natalia hat in unserem Heim gewohnt, aber da sie die Heimregeln verletzt hat, mussten wir ihr sagen, dass sie nicht mehr bleiben darf.
Nach mehreren Monaten ist sie wieder aufgetaucht. Sie kommt, wie alle ihre Leidensgenossinnen, um zu duschen und ihre Kleider zu waschen. Wie wenn nichts wäre, wie wenn es nie einen Vorfall gegeben hätte.
Auch in diesem Fall ist es wichtig, dass wir sie wieder unterstützen können, erklärt Lena.
Es ist nicht immer einfach
Es kommt manchmal vor, dass unsere Schützlinge ziemlich streitsüchtig sind. Ich musste lernen damit umzugehen. Aber am Anfang hat man Mühe zu verstehen, warum diese Leute sich so aggressiv verhalten, wenn man ihnen doch hilft.
Die Sozialarbeiterinnen von Nochlechka haben mich in den ersten Tagen sehr unterstützt, vor allem dann, wenn ich mit solchen Leuten zu tun hatte.
Dazu kommt noch all dieses Elend, dem man tagtäglich begegnet. Auch das kostet viel Energie.
Aber selbst wenn man nach der Arbeit völlig erschöpft und ausgelaugt nach Hause kommt, so gibt es doch immer wieder ein Dankeschön, ein Lächeln oder ein Gespräch, das einem hilft, alles auszuhalten und weiterzumachen, sagt Lena zum Schluss.
Unsere Aufgabe ist riesig. Helfen Sie uns, Leben zu retten. Erst recht jetzt im Winter.
Wichtig: Trotz der gegen Russland verhängten Sanktionen ist es uns immer noch möglich, Ihre Unterstützungsbeiträge zu überweisen.