09-03-12 Die absurde Bürokratie in Russland

Zwei Frauen rufen um Hilfe !

 

Trotz der Komplexität des Falles von Olga Nikolaevna und ihrer Tochter Lioudmila Romanova, der gewisse Unklarheiten aufweist, zeigt ihre alltägliche Tragik wieder einmal die Absurdität des Registrationssystems in Russland, auch wenn seit 2011 einige magere Reformen unternommen worden sind. Für die beiden Frauen haben diese nichts gebracht.

 

Olga Nikolaevna Levtchenko, geboren 1926, und ihre Tochter, Lioudmila Romanovna Kachirskaja, geboren 1947, sind in Sankt Petersburg 1997 mit der Absicht, dort zu bleiben, angekommen. Dafür verkauften sie ihre wenigen Sachen, die sie in Vladivostok besessen hatten: eine kleine Summe, die ihnen nicht erlaubt, in St. Petersburg eine Unterkunft zu kaufen. Sie finden Arbeit und mieten sich ein Zimmer in der Hoffnung, ihre administrativen Probleme lösen zu können. Aber wieder einmal wird das Gesetz geändert und der Inlandspass wird modifiziert.

 

Eine neue Regelung zur Bewilligung von Sozialhilfe wird eingeführt. Es stellt sich heraus, dass sie keine Rente erhalten können, da sie seit zehn Jahren nicht mehr in Sankt Petersburg registriert sind. Aber wie soll man sich registrieren lassen, wenn man keine Papiere hat?

 

Ein komplizierter Fall

Angesichts dieser Situation hat Olga Nikolaevna in der Ukraine eine kleine Baracke gekauft und alle erforderlichen Formalitäten abgewickelt um dort eine Rente zu erhalten. Die beiden Frauen blieben aber in Sankt Petersburg und versuchten weiterhin ihre Bürgerrechte zurück zu kämpfen.

 

Im Jahr 2010 hat es Olga Nikolaevna mit der Hilfe von Nochlezhka geschafft einen russischen Inlandspass und im Anschluss darauf eine kleine Rente zu erhalten.

 

Heute ist sie 85 Jahre alt und ihre Gesundheit verschlechtert sich. Behandlungen und Medikamente werden immer wie teurer. Ihre invalide Tochter Lioudmila ist in der Rente. Sie kann beinahe nicht mehr arbeiten und das Geld reicht kaum um ein Zimmer zu bezahlen.

Im Jahr 2011 versuchen sich Olga Nikolaevna und ihre Tochter Lioudmila Romanovna im Gemeindezentrum für die Registration Obdachloser anzumelden um Sozialhilfe zu erhalten. Es wird ihnen abgesagt. Die Absage begründet die Komission damit, dass Olga Nikolaevna in der Ukraine eine Bruchbude besitzt.

 

Ausschnitte aus dem Entscheid des Komitees der Sozialpolitik:

 

– Olga Nikolaevnas Rente übertrifft erheblich die Höhe des Existenzminimums in Sankt Peterburg. Daher hat sie kein Recht auf zusätzliche Sozialgelder. Zudem erhält ihre Tochter Lioudmila Romanovna einen Rentenzuschlag.

 

– Im Jahr 2011 haben sie sich an das Gericht des Bezirks Frounze (wo sich Nochlzehka befindet) gewendet. Dieses heisst Lioudmila Romanovnas Anfrage gut und weist diese von Olga Nikolaevna ab.

 

– Das Komitee ist bereit den alten Frauen zu helfen und mit ihnen einen Platz in sozialen Institutionen der Stadt zu suchen. Olga und Lioudmila wünschen dies jedoch in keiner Weise.

Nochlezhka Juristen befunden, dass die Tatsache dass Olga Nikolaevna eine Art Unterkunft in der Ukraine besitzt in keiner Weise die Verletzung der Menschenrechte durch die petersburger Administration berechtigt.

 

Für diese hat Olga nie in der Ukraine gewohnt, da der Zustand der Hütte die sie gekauft hat keine Behausung zulässt. Am 5. April 2000 wies sie den Autoritäten eine Bescheinigung vor, die den Zustand ihrer Bruchbude bestätigt. Diese hat sie einzig gekauft hat um eine Rente zu erhalten, selbst wenn dies in einem anderen Staat war.

 

Schliesslich wurden sie zwischen den Nummern 11‘000 und 12‘000 auf einer Warteliste aufgenommen. Es ist offensichtlich, dass keine von Ihnen mehr leben wird, bis zum Moment in dem ihre Wünsche erfüllt würden.

 

Die Absurdität eines Systems

Olga Nikolaevna schildert ihre SIchtweise bezüglich dieses administrativen Durcheinanders:

Olga Nikolaevna und Lioudmila Romanovna haben sich wiederholte Male an die lokalen Behörden gewandt. Sie haben versucht, sich im Gemeindezentrum für die Registration Obdachloser anzumelden, um eine Unterkunft zu haben, die dem Petersburger Recht entspricht. Schliesslich wurden sie zwischen den Nummern 11‘000 und 12‘000 auf einer Warteliste aufgenommen. Es ist offensichtlich, dass keine von Ihnen mehr leben wird, bis zum Moment wo sie die Schlüssel zu einer subventionierten Wohnung bekommen werden, wie es das Gesetz für Pensionierte mit fehlenden Mitteln vorsieht.

Alle Hilfe wird ihnen verweigert mit dem Vorwand, dass sie nicht in Sankt Petersburg registriert sind.

 

Olga Nikolaevna erzählt:

Ich bin invalide, Kriegsveteranin, Pensionierte. Meine Tochter ist ebenfalls pensioniert. Unser einziges Einkommen sind unsere kleinen Renten und wir können uns folglich keine Unterkunft kaufen. Das ist der Grund, warum wir nicht registriert sind seit 1997, wir mieten jeweils Zimmer, immer „schwarz“ (ohne Propiska).

 

2007 haben wir von der Existenz von Nochlezhka gehört. Wir haben uns an diese Organisation gewendet und wurden von ihnen als Obdachlose registriert. Im 2011 haben wir die Administration des Distrikts Moskovskij, in dem wir wohnen, kontaktiert, um die sozialen Hilfeleistungen zu erhalten: kostenloser öffentlicher Verkehr, Rentenzulage etc.

 

Unsere Bitte wurde zurückgewiesen unter dem Vorwand, dass unsere Registration bei Nochlezhka sich auf den Distrikt Frounze beziehe. Meine Tochter hat immer wieder versucht dem Beamten zu erklären, dass die Bestätigung von Nochlezhka keine der üblichen amtlichen Registrierungen sei, aber unsere Bitte wurde nicht akzeptiert.

 

Darauf hin haben wir uns an die Verwaltung des Distrikts Frounze gewendet, wo man uns geantwortet hat, dass wir – weil nicht beim Zentrum für die Registration Obdachloser gemeldet – kein Anrecht auf soziale Unterstützung haben. Sie haben uns aufgefordert, uns an die Verwaltung im Distrikt Moskovskij zu wenden…

 

Wie lange wird diese Farce noch dauern? Warum diese Haltung von Seiten der Offiziellen? Warum beachtet man unsere Bitten nicht? Warum helfen sie nicht Menschen wie uns, die machtlos und ohne Schutz sind? Es ist sinnlos den Beamten zu erklären, dass wir zum Überleben nur unsere mageren Renten haben, dass wir überhaupt keine Unterstützung bekommen, dass wir nicht in der Lage sind, uns eine Unterkunft zu kaufen, dass wir mit unseren Mitteln kaum durchkommen und dass wir unser Zimmer mieten, um die Strasse zu vermeiden. Der Staat hilft uns nicht!”

 

Sogar die Veteranen werden ignoriert

Wegen diesen Bürokraten und dem Fehlen von Menschlichkeit von ihrer Seite werde ich, Olga Nikolaevna, Veteranin, Invalide und Pensionierte gezwungen sein eine Obdachlose zu werden und auf der Strasse zu sterben. Schämt ihr euch nicht, mich dazu zu drängen, mich einmal in Jahr – am 9. Mai – mit meinen Auszeichnungen und Medailllen zu zeigen? Schämt ihr euch nicht, ihr Heuchler, zu lügen, dass ihr euch um die Veteranen kümmert, wenn ihr euch doch nur einmal im Jahr – am 9. Mai – an sie erinnert?

 

Der Präsident, der Premierminister und die Regierung hört nicht auf zu verkünden, dass man die Kriegsveteranen unterstützen soll und die Personen, die den Sieg von Leningrad (Sankt Petersburg) bewirkt haben. Und wo ist eure Hilfe? Warum erlaubt man, dass wir so behandelt werden? Ich habe nicht mehr den Mut, gegen das System zu kämpfen, zu bitten und zu flehen. Ich bin eine alte Frau, aber gleichwohl ein Mensch.