„Ein Spital nur für Obdachlose, was für eine Utopie“, haben sich viele gedacht, als sie Sergei Levkov, einen der freiwilligen Ärzte des Charity Hospital in Sankt Petersburg über seine Ideen sprechen hörten.
Die medizinische Gruppe Charity Hospital leistet den Obdachlosen seit Juni 2018 Hilfe.
Andrei Tschapaiev, der Verantwortliche für die humanitären Aktionen von Nochlechka, der bei der Errichtung dieser dieser Klinik mitgewirkt hat, erinnert sich: Ehrlich gesagt, als Sergei uns von seinem Projekt erzählte und wir uns die Dimensionen der zu bewältigenden Aufgabe vorgestellt haben, zuckten wir skeptisch mit den Schultern. Aber für alle Fälle haben wir Sergei Levkov nach Rotterdam an eine Konferenz zur Strassenmedizin geschickt, damit er die wichtigsten Persönlichkeiten in diesem Bereich treffen konnte. Und heute sage ich: „Hut ab!“. Sergei Levkov hat es geschafft. Wenn man die administrativen Schwierigkeiten kennt, dann weiss man, dass das Projekt eher ein Wunschtraum war als eine realistische Möglichkeit, fügt Andrei bei.
Was für eine Idee!
Mehrere Monate ging Sergei Levkov die Vorstellung eines Spitals durch den Kopf, das nicht wie die anderen ist.
Und trotz aller Zweifel und der vielfältigen Hindernisse hat die multidisziplinäre Klinik, ein Ambulatorium für Obdachlose, ihre Tore vor kurzem geöffnet. Eine Première in Russland und sicher auch in vielen Ländern rund um den Globus.
Nach unendlich vielen Problemen mit der staatlichen Verwaltung hat die Klinik am 4. Oktober 2023 die sehnlichst erwartete Betriebsbewilligung vom Gesundheitskomitee von Sankt Petersburg erhalten. Aus der Utopie wurde Wirklichkeit.
Die obdachlosen Sans-Papiers besser behandeln
Die Klinik erlaubt es, alle Patienten zu empfangen, die weder eine Identitätskarte noch eine Versicherung haben.
Es ermöglicht die Betreuung von Obdachlosen mit gesundheitlichen Problemen.
Sergei Levkov hofft auf eine Zusammenarbeit mit den privaten und öffentlichen Spitälern im Bereich der Allgemeinmedizin. Er möchte den Behörden auch vorschlagen, die Gesetzgebung in Bezug auf die Obdachlosigkeit abzuändern, um den obdachlosen Sans-Papiers den Zugang zu medizinischen Behandlungen zu erleichtern.
Die Klinik, die sich an der Baltiskaja-Strasse 36/9 befindet, ist während der Woche immer von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr geöffnet.
Strassenmedizin ist Kriegsmedizin
Sergei Levkov ist recht stolz auf die neuen Räume, die nur darauf warten, die ersten Patienten aufzunehmen. Er erklärt, wie komplex es ist, Leute, die auf der Strasse leben, zu betreuen.
Auf der Strasse arbeiten und Leute betreuen erfordert viel Anpassungsfähigkeit und professionelle Flexibilität angesichts der verschiedenartigen Fälle, die man in einem derart schwierigen Umfeld antrifft, sagt er. Und er fährt fort: Auf der Strasse ist man dem Wetter ausgesetzt, die Patienten sind nicht immer einfach, und dann ist da noch die völlige Abwesenheit von Sterilität.
Im Winter, mit Temperaturen unter null Grad, gefrieren die Hände in chirurgischen Handschuhen schneller als ohne. Oft können die medizinischen Standards nicht eingehalten werden, aber auf der Strasse hat man keine Wahl.
Auf der Strasse hat man nur ein Stethoskop, einen Blutdruckmesser, einen Fieberthermometer, Schnelltests und einige Medikamente zur Unterstützung.
So ausgerüstet ist man bereits eine Art Krieger auf dem Feldzug. Im Laufe der schwierigen Jahre als Strassenmediziner hat sich bei mir die Idee, ein Ambulatorium zu eröffnen, immer stärker entwickelt, dies auch darum, weil der Staat uns Ärzten keine Unterstützung anbot.
Die Strassenmedizin ist von Gesetzes wegen nicht erlaubt
In der Tat, um eine Bewilligung für medizinische Tätigkeiten zu erhalten, muss man über ein ständiges Praxislokal verfügen, erklärt Sergei Levkov.
Sie können sich gut vorstellen, dass der Mediziner, der auf der Strasse arbeitet, keine Praxisadresse angeben kann.
Um dieses absurde Reglement zu umgehen, haben wir ein kleines Lokal gemietet und es zu einer festen Anlaufstelle gemacht. Aber das war natürlich keine befriedigende Lösung.
Dazu kommt noch, dass unsere Ärztinnen und Ärzte ebenso wie die Pflegepersonen, weil sie auf der Strasse arbeiteten, mangels einer Bewilligung keine Altersversicherung hatten.
Schliesslich ist der Zugang zu Medikamenten und Verbandsmaterial für den auf der Strasse praktizierenden Arzt sehr eingeschränkt. Das ist natürlich eine äusserst frustrierende Situation.
Daher lag die Einrichtung einer Klinik auf der Hand.
Eine menschenfreundliche Hilfe für alle, wo sie auch immer sich befinden
Sergei Levkov ist bemüht, diese Devise auch in seinen Adhoc-Lokalen umzusetzen. Und er weiss, dass er und seine Kollegen sich auch dank der Klinik vor den Angriffen des Staates schützen, der immer wieder diejenigen einsperren will, die sich um Aufgaben kümmern, die genau der gleiche Staat vernachlässigt, in diesem Fall die Betreuung der Opfer der Obdachlosigkeit.
Erinnern wir uns daran, dass vor kurzem ein Vertreter der Duma ausrief, dass „alle ehrenamtlichen Ärzte, die den Obdachlosen auf der Strasse helfen, sich administrativen und sogar strafrechtlichen Verfolgungen aussetzen.”
Helfen Sie uns, Leben zu retten. Denn der Winter ist schon da.
Wichtig: Trotz der Boykottmassnahmen ist es uns weiterhin möglich, Ihre Unterstützungsbeiträge zu überweisen.