Schon seit 35 Jahren setzt Nochlechka seine ganze Energie dafür ein, den obdachlosen Sans-Papiers zu helfen. Das soll gefeiert werden.
Die Feierlichkeiten finden Ende November 2025 in Sankt Petersburg und in Moskau statt. Die Hintergrundmusik spiegelt die wichtigsten Etappen der NGO wider. Zwischen rassigen Tänzen und fröhlichem Treiben wird die Geschichte von Nochlechka erzählt.
Zwischen 1990 und 2000 hat alles begonnen
Ein Akt des Vertrauens. Die Gründungsgeschichte von Nochlechka ist sicher allen bekannt, aber sie ist es trotzdem wert, nochmals in Erinnerung gerufen zu werden.
1990 stürzt Russland in eine schwere Wirtschaftskrise. Lebensmittelkarten kommen wieder zum Einsatz. Ein gewisser Waleri Sokolow arbeitet als Lagerarbeiter in einem Güterbahnhof. Er ist eben aus der Ukraine angereist, hat keine Unterkunft und keine Identitätspapiere.
Das ist Ihr Problem!
Waleri Sokolow ist aufgebracht, da Lebensmittelkarten nur beim Vorzeigen einer Wohnsitzbestätigung, einer Propiska, ausgestellt werden. Er wendet sich ans Exekutivkomitee des Stadtrats von Leningrad. Was geschieht mit nicht angemeldeten Personen? Das Komitee antwortet ihm: Schauen Sie selber. So hat alles begonnen.
Nach zwei Jahren voller Bemühungen wird ein Lokal an der Puschkinstrasse 10 gefunden, in dem der Sozialdienst (der damalige Name von Nochlechka) die ersten Obdachlosen empfängt.
Ein Unterschlupf für Randständige
In der Nachbarschaft befinden sich von Künstlern besetzte Räume, in denen unter anderem ein junger Universitätsabgänger namens Timur Nowikow arbeitet. Ausserdem gibt es dort ein Probestudio für die Bands Aquarium und DDT. Viele erinnern sich an die Puschkinstrasse 10 als Zentrum der Alternativkultur in Sankt Petersburg, aber wenige wissen noch, dass Nochlechka wie alle andern beinahe brutal rausgeworfen worden wäre.
Man stellt ihnen das Wasser und den Strom ab. Die Polizei kommt. Die Bewohner protestieren. Sie verlangen, dass man sie in Ruhe lässt. Die Behörden willigen schliesslich ein und legalisieren den Status der Bewohner der Puschkinstrasse 10 und der Aktivitäten von Nochlechka. Im Jahre 1993 eröffnet Nochlechka seine erste Suppenküche.
Die Landstreicherei legalisieren
Zur gleichen Zeit und nach erbitterten Kämpfen wird der Artikel 209 des Strafgesetzbuches der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik betreffend die Landstreicherei abgeschafft. Die Abschaffung wird im Verband mit anderen Menschenrechtsaktivisten erreicht.
Aber das ist noch nicht alles. Die obdachlosen Sans-Papiers, die bisher nicht auf den Wahllisten aufgeführt waren, erhalten das Wahlrecht. Doch in Wirklichkeit wurde ihnen die Möglichkeit, an der Urne ihre Stimme abzugeben, nicht für lange Zeit gewährt.
Schliesslich gibt es noch das städtische Programm “Obdachlosigkeit”, das von Waleri Sokolow, dem ersten Direktor von Nochlechka, geleitet wird.
Ja, damals war das möglich. In diesen weit zurückliegenden Zeiten konnten Aktivisten verantwortungsvolle Posten übernehmen. Sie konnten die bürokratischen Abläufe beeinflussen. In diesem Zusammenhang wurde 1995 in Sankt Petersburg auch das erste Gesetz zur Prävention von Obdachlosigkeit verabschiedet.
Diese Ergebnisse können auf verschiedene Weise bewertet werden, aber es steht fest, dass aberhunderte Leben gerettet werden konnten, was an sich schon ein ansehnlicher Erfolg ist, betont Danil Kramorow, der aktuelle Präsident von Nochlechka.
Eine andere Zeit
Im Jahr 1994 wird die Zeitung “Na Dne” (Der Abschaum) gegründet. Obdachlose verkaufen sie, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. 1995 übergibt die Stadt Nochlechka ein Lokal am Sinopskajaquai, um dort eine Unterkunft einzurichten.
Es ist schwierig, Fotos aus jenen Jahren anzuschauen, ohne dass einem die Tränen kommen, sagt ein Freiwilliger. Dort lebten betagte Obdachlose, die später in Altersheime übersiedeln konnten. Andere Obdachlose haben ein Zimmer gefunden oder sogar eine Familie gründen können. Nochlechka hat dort während zehn Jahren gewirkt.
Eine tief verwurzelte Überzeugung
Es war eine naive und elende Zeit, aber auch eine Geschichte voller Entschlossenheit und Mut, unsere Geschichte, die Geschichte von Nochlechka. Ohne diese unermüdliche Beharrlichkeit, die wir aus einer tiefen Überzeugung unserer eigenen Vision einer sozialen Gerechtigkeit schöpften, hätten wir es nie geschafft. Ausserdem hätte unser Kampf gegen Ungerechtigkeit, Armut und Vergessenheit zu einer anderen Zeit kaum entstehen können.
Ich glaube fest daran, dass wir bis heute das Beste dieser Eigenschaften beibehalten haben, betont Andrej Tschapajew, der schon damals dabei war und heute für die humanitären Aktionen verantwortlich ist.
Nächste Woche berichten wir über die Jahre zwischen 2001 und 2010.
Seit 35 Jahren machen wir alles, um den Obdachlosen zu helfen. Unsere Aufgabe ist riesig. Unterstützen Sie uns, damit sie wieder Hoffnung schöpfen.
Wichtig: Trotz der Boykottmassnahmen können wir unsere finanzielle Hilfe weiterführen.