Fake news

In Russland soll sich die Zahl der Obdachlosen verringert haben, erklärte am 19. Januar dieses Jahres ведомости (Vedomosti), eine russische Website mit Wirtschaftsinformationen.
Gemäss den Quellen von Vedomosti (Rosstat), ist die Zahl der Obdachlosen innert 10 Jahren sechsmal kleiner geworden.
Vedomosti sagt weiter: Es ist schwierig, diese Bürger zu zählen, aber die Zahl der Bewohner von öffentlichen Aufnahmezentren hat ebenfalls abgenommen.

Zu schön, um wahr zu sein
Es ist schwierig diesen Zahlen zu glauben, auch wenn sie uns freuen würden.
Tatsächlich schreibt Vedomosti, dass im Jahr 2010 64’077 Obdachlose in Russland gelebt hätten.
Und dass es im Jahr 2021 nur noch 11’285 Personen gewesen seien.

Seltsamerweise hat uns die offizielle Volkszählung darüber informiert, dass man im Jahr 2010 allein Sankt Petersburg mehr als 64‘000 obdachlose Sans-Papiers zählte.
Ausserdem gibt Vedomosti zu, dass ihre Zählung nur die Obdachlosen registriert hat, die auf der Strasse angetroffen wurden.
Eine alles andere als nachvollziehbare Buchhaltung, zumal sich Russland damals in einem strikten Lockdown infolge des Coronavirus befand.

Verfälschte Resultate
Galina Sheverdova, stellvertretende Leiterin der Abteilung für Bevölkerungs- und Gesundheitsstatistik, kommentiert diese Zahlen wie folgt: die Kategorie „Obdachlose“ bei Vedomosti rechnet diejenigen, die in Unterkünften, in Häusern, in leeren Fabriken oder in ländlichen Gebieten wohnen, nicht mit ein.
Galina Sheverdova präzisiert: die Volkszähler besuchten systematisch die sogenannten institutionellen Aufnahmezentren, wo die Leute auf Staatskosten leben, oder dann auch Einrichtungen gewisser karitativen Organisationen.
Gemäss der staatlichen Zählung lebten damals 1’022’000 Personen in solchen Institutionen.
Warum also eine solche numerische Verschiedenheit?
Auch ist festzuhalten, dass Vedomosti Nochlechka nicht kontaktiert hat, weder in Moskau noch in Sankt Petersburg.

Die Bilanz von Nochlechka ist leider eine ganz andere.
In den letzten Jahren wussten 9% der russischen Bürger nicht, wo sie im nächsten Monat leben würden.
Diese Russinnen und Russen überlebten in verlassenen Gebäuden, in baufälligen Unterkünften oder auf der Strasse.
Das sind ungefähr 7 Millionen Personen.
Im Jahr 2022 wurde eine unabhängige Studie veröffentlicht, durchgeführt von Validata.
Ihre Schätzung geht von 2’130’000 obdachlosen Personen in Russland aus.
Validata stützt ihre Statistik auf die offiziellen Zahlen der Sterberate der Obdachlosen im Jahr 2021 und wendet eine Verhältniszahl an, um die Anzahl der Obdachlosen zu bestimmen.

Die benutzte Formel lautet H = Dh x P / (D x K).
Dabei entspricht
H der Zahl der lebenden Obdachlosen,
Dh der Zahl der verstorbenen Obdachlosen gemäss den Angaben von Rosstat,
P der Zahl der Personen innerhalb der Referenzgruppe,
D der Zahl der verstorbenen Personen innerhalb der Referenzgruppe,
K der Lebenserwartung einer obdachlosen Person, bestimmt nach Alter und Geschlecht.
Die Berechnung erfolgt aufgrund der durchschnittlichen Lebensdauer der obdachlosen Personen und der Personen, die eine Unterkunft haben.

Die Rechnung geht überhaupt nicht auf
Validata macht ihre Berechnung auf der Basis der von Rosstat publizierten Zahlen. Diese zeigen, dass im Jahr 2021 allein in den 65 grössten russischen Städten 22‘426 Obdachlose gestorben sind.
Die von Vedomosti zitierte Erhebung zählt im Jahr 2021 11’285 Obdachlose im ganzen Land, wobei zu beachten ist, dass es in Russland weder eine genaue Definition einer obdachlosen Person gibt noch eine Kategorie Obdachlosigkeit.
Hinzu kommt, dass die auf der Strasse sichtbare Obdachlosigkeit nur einen Teil der Obdachlosen umfasst. Sie ist zwar die schlimmste Form, aber auf keinen Fall die einzige, und sie betrifft im Allgemeinen nur eine geringe Anzahl von Menschen, unterstreicht Nochlechka.
Und wenn man nicht weiss, wer die Obdachlosen sind, wie will man sie dann erfassen?

Eine Manipulation?
Es ist keine schlechte Idee, das menschliche Drama herunterzuspielen, das Problem kleinzureden, es zu kaschieren und sich zu freuen, dass es besser geht dank optimistischer, aber falscher Nachrichten.
Vielleicht erhält sogar jemand einen Preis dafür, “das Ausmass der Obdachlosigkeit in Russland verringert zu haben“. Das wäre so bequem, erklärt Daria Baibakova, die Verantwortliche von Nochlechka Moskau.
Wir möchten liebend gern glauben, dass die Obdachlosigkeit abnimmt, aber sie verschwindet nicht auf diese Weise.
Im Lauf des vergangenen Jahrs hat die Zahl der Kunden von Nochlechka in Moskau und in Sankt Petersburg um 30 % zugenommen, fügt Daria an.

Zu welchem Zweck?
Nun stellt sich die Frage: Warum wurde eine solche Manipulation von Zahlen vorgenommen? Eine mögliche Erklärung wäre, dass man die Anzahl der Opfer der russischen Wirtschaftskrise infolge des Krieges herunterspielen will. Die schleichende Verarmung könnte viele Bürger auf die Strasse treiben, oder wenigstens fast.
Wir sehen es mit eigenen Augen, dass die Leute immer mehr Probleme haben seit den Ereignissen in der Ukraine. Im Dezember 2022, zählten wir ungefähr 238’000 Obdachlose in Moskau und 64’000 in Sankt Petersburg, betont Daria Baibakova.

Ihre Unterstützung ist von grosser Bedeutung, erst recht in den Zeiten der grossen Winterkälte.
Danke für Ihre Hilfe, Sie retten Leben.

Wichtig: Trotz der Tücken des Boykotts ist es uns immer noch möglich, unsere Unterstützungsbeiträge zu überweisen, die heute noch notwendiger sind als früher.

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