Diffamierung

Das sind alles Alkoholiker und Arbeitsscheue, diese Obdachlosen, ruft Evgenj Grigoriev, der Bürgermeister von Jakutsk, aus.
Und er fährt fort: Diese Nichtsnutze tragen zur Massenarbeitslosigkeit bei, zum Sittenzerfall und zur Pervertierung der Gesellschaft. Diese Schädlinge zerstören den öffentlichen Raum und sollten in Arbeitslager geschickt werden.
So einfach ist es.

Ein äusserster besorgniserregendes Signal
Aussagen wie diejenigen von Evgenj Grigoriev, welche die russischen obdachlosen Sans-Papiers stigmatisieren, sind nicht aussergewöhnlich.
Regelmässig überschwemmen solche doktrinären Ausbrüche die russische Medienlandschaft und preisen eine drastische Lösung des Problems der Obdachlosigkeit in diesem Lande an.
Aber nie werden die politischen Ursachen der russischen Obdachlosigkeit thematisiert.
Glaubt man den Worten des Bürgermeisters von Jakutsk, so würde es reichen, das gute alte System der Arbeitslager wieder einzuführen, um Städte und Dörfer von den Clochards zu säubern, wie das zu Zeiten Stalins geschehen ist.
Diese Reminiszenzen an eine noch nicht so lange zurückliegende Vergangenheit sind beunruhigend. Sie hängen mit einer immer sichtbarer werdenden Geisteshaltung zusammen, die jegliche Toleranz gegenüber Andersartigkeit ablehnt.

Schändliche Worte
Für den Präsidenten von Nochlechka, Danil Kramorov, sind diese Äusserungen skandalös.
Die von Evgenj Grigoriev genannten Scheinargumente sind unhaltbar. Sie sind eine Anhäufung völlig realitätsferner Vorurteile.
Weil sie von einem Behördenvertreter geäussert wurden, senden sie ein sehr bedenkliches Signal bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte.
Aber gehen wir die Worte des Bürgermeisters von Jakutsk Punkt für Punkt durch, fährt Danil Kramorov fort.

„Alle sind Alkoholiker“
Gemäss unseren Daten waren im Jahre 2022 bloss 10% der Obdachlosen wegen einer Sucht auf der Strasse. Der Alkoholismus und die Drogen kommen erst dann ins Spiel, wenn die Person auf der Strasse überleben muss.

„Sie wollen nicht arbeiten“
Seit einigen Jahren ist eine der Hauptursachen der Obdachlosigkeit die Abwanderung von Leuten, die auf dem Land und in kleinen Dörfern wohnten, in Richtung der grossen Wirtschaftszentren auf der Suche nach besseren Verdienstmöglichkeiten. Wegen des bürokratischen Systems der Propiska haben diese Binnenmigranten kaum eine Chance, auf legalem Wege eine Anstellung in den Metropolen zu finden.
Vgl. den Artikel Die grosse Illusion

„Sie besetzen den öffentlichen Raum“
Der Arbeitsplatzverlust führt regelmässig zum Verlust der Wohnung. Seit dem 24. Februar 2022 haben sehr viele Leute kein Einkommen mehr wegen der Zwangsschliessungen internationaler Gesellschaften. Das zog zahlreiche Kündigungen nach sich.
Nach unseren Untersuchungen zu den Übernachtungen im Jahr 2022 wollen 86% unserer Kunden arbeiten und sind auch bereit, einen neuen Beruf zu erlernen. Aber ohne Propiska ist das nicht möglich und die einzige Lösung ist das Leben auf der Strasse, da der Staat über keine sozialen Einrichtungen verfügt.

„Sie sind selber schuld“
Um es noch einmal zu sagen: sehr wenige Leute wählen absichtlich ein Leben auf der Strasse. Wenn ein russischer Bürger obdachlos wird, so ist das in den meisten Fällen eine Folge des Verwaltungssystems, das ihm nicht hilft, sich nach einem Tiefschlag wieder aufzufangen. Ganz im Gegenteil, die staatlichen Strukturen verschlimmern die soziale Lage des Unglücklichen.
Mit den Wiedereingliederungsprojekten Adhoc kann eine solche Person ihre soziale und wirtschaftliche Selbständigkeit wieder erlangen.
Die Obdachlosigkeit ist eine vorübergehende Notlage, in die ein Mensch geraten ist, und nicht eine Charaktereigenschaft, betont Danil Kramorov.

Ich habe kein Mitleid mit ihnen, sagt der Bürgermeister von Jakutsk.
Eine gelungene Wiedereingliederung gründet nicht auf Mitleid, sondern auf dem Respekt vor der Menschenwürde, stellt Danil Kramorov klar.
Diejenigen, die auf der Strasse überleben, sind keine Ausserirdischen. Sie sind in die Schule gegangen wie wir, haben manchmal sogar studiert, haben eine Familie. Wir bemühen uns jeden Tag, ihnen zu helfen, damit sie wieder zu ihren sozialen Strukturen zurückfinden.
Wir kämpfen auch täglich gegen die Vorurteile und Stereotypen an, sagt der Präsident von Nochlechka zum Schluss.

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Wichtig: Trotz der Tücken des Boykotts gelingt es uns immer noch, Ihre Unterstützungsbeiträge zu überweisen.

 

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