
Guten Tag, ich heisse Veronika. Noch vor wenigen Tagen lebte ich auf der Strasse. Ich bin drogensüchtig.
Veronika ist etwa fünfzig Jahre alt und hat soeben ein Entzugsprogramm begonnen. Vor ungefähr zwei Wochen strich sie noch in den Vororten von Sankt Petersburg umher, bereit, alles zu tun, um ihre Ration Drogen zu erhalten, Heroin von sehr schlechter Qualität.
Man hat sie bei einer Haltestelle des Nachtbusses angetroffen und sie zuerst ins Aufnahmezentrum von Nochlechka gebracht. Anschliessend kam sie ins Rehabilitationszentrum mit dem Namen «Auf halbem Weg». Veronika erzählt von den ersten Tagen, die sie dort verbracht hat.
Ein Kampf gegen sich selbst
Ich bin noch ganz am Anfang des Programms. Es ist wirklich schwierig für mich. Manchmal schlage ich mit den Füssen aus, wehre mich und versuche gleichzeitig, mich der Situation zu stellen. Oft möchte ich einfach weglaufen. Aber dann sage ich mir: Es ist die Sucht, die nicht will, dass du gesund wirst. Also bleibe ich. Und später will ich doch wieder abhauen. Alle sagen mir, was ich tun muss. Das hasse ich. Doch mein Ziel ist es, geheilt zu werden und das wird mir auch gelingen.
In den Jahren nach 2000 begann ich Drogen zu konsumieren. Ich lernte meinen Mann in der Drogenszene kennen. Ich hatte einen Job und eine Wohnung. Wegen der Drogen kam ich ins Gefängnis, erzählt Veronika weiter. Mein Mann und ich wurden festgenommen, weil wir Drogen auf uns trugen. Er hat von mir verlangt, alles auf mich zu nehmen. Er sagte, dass die Richter mich weniger hart bestrafen würden, da ich eine Frau sei. Von wegen! Während meines Gefängnisaufenthalts habe ich die Wohnung verloren. Während ich im Knast war, haben mein Mann und ich uns scheiden lassen.
Als ich anfangs 2025 aus dem Gefängnis entlassen wurde, stand ich auf der Strasse, ohne Papiere und ohne Identität.
Einzigartig
Wissen Sie, ausser unseren Rehabilitationszentren hier in Sankt Petersburg und in Moskau gibt es für suchtkranke Obdachlose in ganz Russland keine unentgeltlichen Entzugsprogramme ausserhalb einer Klinik, erklärt Maria Muradova, die Koordinatorin des Projektes. Unser Rehabilitationsprogramm ist einzigartig.
Während der Treffen analysieren wir den Tagesablauf jeder Person, ihre Gefühle, ihre Aktivitäten, erklärt Maria. Es ist wichtig für uns, dass alles, was wir über Abhängigkeiten von chemischen Stoffen und von Alkohol lernen, in die Praxis umgesetzt wird, um diese Abhängigkeiten zu überwinden. Wir besprechen, wie sich die Krankheit äussert und mit welchen Mitteln man sie bekämpfen kann.
Einmal pro Woche haben unsere Patienten eine Einzelsitzung bei einer Psychologin und einem Suchtberater.
Streng
Wir müssen vor allem sicher sein, dass die Person, die den Entzug machen will, nicht unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol ist. Sie muss mindestens zehn Tage lang nüchtern bleiben, bevor sie unser Programm beginnen kann. Und falls jemand auch nur einmal Drogen oder Alkohol konsumiert, wird er oder sie rausgeworfen.
Die Betreuung und der Stundenplan sind sehr wichtig. Das gibt unseren Patienten eine Struktur. Was die Gruppentreffen und andere Termine betrifft, so befolgen wir strenge Regeln: Nicht zu spät kommen, nicht fluchen, keine Gadgets zur Ablenkung mitbringen. Wir erinnern auch daran, dass jede und jeder das Recht hat, seine/ihre Gefühle auszudrücken. Eine Person spricht, die andere hört zu, betont Maria Muradova.
Ein langer Weg
Das Programm dauert sechs Monate. Das ist hart, gibt Veronika zu: die Disziplin, die Konfrontation mit den anderen, die Pflicht, ein Gesundheitstagebuch zu führen. Oft möchte ich am liebsten alles aufgeben, aber die Vorstellung, dass ich dann wieder auf der Strasse lande, bringt mich dazu, auf die Zähne zu beissen und vorwärtszugehen.
Ich realisiere, dass ich anderen Menschen helfen möchte, die die gleichen Schwierigkeiten haben wie ich, sagt sie. Das würde ich wirklich sehr gerne machen.
Heute an der Morgensitzung wollte Maria Muradova, dass alle Sitzungsteilnehmer/-innen ein Lebensrad zeichnen und darin ihre Aktivitäten und ihre Träume einfügen.
Es stellte sich heraus, dass alle davon träumten, mehr Zeit mit ihren Nächsten zu verbringen und sich auch für ihre eigene Entwicklung einzusetzen. Aber in Wirklichkeit brauchen sie die meiste Zeit, um für ihr Überleben zu kämpfen erklärt Maria Muradova.
Unsere Aufgabe ist riesig. Helfen Sie uns, mehr Menschlichkeit zu schenken.
Wichtig: Trotz des Boykotts ist es uns weiterhin möglich, Ihre finanzielle Unterstützung weiterzuleiten.