Auf der Strasse Gefahr

Ich war im Bus, er hat mich niedergestochen, einfach so, ohne Grund, aber niemand hat interveniert, erzählt Ekaterina, obdachlose Sans-Papier.
Wir sind in Moskau, am Sitz von Nochlechka.
Es war im April, ich trug drei Hosen, das hat mich gerettet, dank all dieser Schichten waren die Verletzungen nicht zu tief, erinnert sich Ekaterina.
Nachher habe ich meine Jeans betrachtet, das Blau wurde rot. Trotz der vielen Leute im Bus ist niemand eingeschritten. Ich setzte mich, das Blut spritzte heraus, die Leute haben auf keine Weise reagiert. Ich habe dem Fahrer nichts gesagt.
Es passierte nicht weit von der Metrostation Schodnenskaya. Ich bin ausgestiegen, mein Bein hat mich sehr geschmerzt, ich konnte kaum gehen, kaum atmen.

Vier Nähte
Ekaterina ging nicht direkt ins Krankenhaus oder zur Polizei: die Obdachlosen haben in der Regel kein Vertrauen in die Ordnungskräfte.
Ich habe mich entschieden, zu Nochlechka zu gehen, um die Wunde zu verbinden und meine Kleider zu waschen. Wer sonst hätte mir geholfen?
Nicht einfach, es war Freitagabend und Nochlechka zu dieser Zeit üblicherweise geschlossen. Aber ich war nicht weit weg, fährt Ekaterina weiter.
Zum Glück hat mir der Wächter die Tür geöffnet.
Es hat über eine Stunde gedauert, bis Ivanow, der Wächter, mich überzeugen konnte, eine Ambulanz zu rufen. Sie haben mich ins Krankenhaus Burdenko gefahren, wo sie mein Bein genäht haben.

Angst vor den Behörden
Weshalb haben die Obdachlosen solche Angst vor der Polizei?
Die Direktorin von Nochlechka Moskau, Daria Baibakowa, unterstreicht: die Obdachlosen fürchten sich vor den Behörden im gleichen Verhältnis wie der Bürger Lambda.
Es ist leider wahr, dass viele von ihnen mit einer Situation konfrontiert sind, wo die Polizei sie belästigt hat, statt ihnen zu helfen, sie schikaniert und auf den Polizeiposten bringt.

Hass auf die Obdachlosigkeit
Daria Baibakowa erklärt uns, dass die grundlosen Agressionen, wie sie Ekaterina erlebt hat, nicht selten sind.
Die obdachlosen Sans-Papiers sind das gewalttätige und willkürliche Ziel gewisser Gruppen oder Einzeltäter, oft aus Kreisen der extremen Rechten.
Für sie, fährt Daria Baibakowa fort, ist die Obdachlosigkeit eine Unreinheit, die man ausrotten muss.
Der andere Grund dieser Agressivität gegen die Obdachlosen ist die unbewusste Angst, an ihrer Stelle zu sein.
Vergessen wir nicht, dass dem Russen ab dem Kindesalter von seinen Eltern eingeimpft wird: „studiere tüchtig, rauche nicht, trinke nicht, sonst endest du wie ein Landstreicher unter einer Brücke“.
Und schlussendlich, unnötig zu bestreiten, die begangene physische Gewalt ist mit der Verwundbarkeit der Obdachlosen verknüpft. Im Bewusstsein der Täter sind sie schwächer und es ist wenig wahrscheinlich, dass sie in der Lage sind, zu reagieren.

Hunderte von Toten jedes Jahr
Es ist nicht möglich, die Zahl der Obdachlosen zu zählen, die Opfer krimineller Taten werden.
Gemäss Nochlechka sind die einzig erhältlichen offiziellen Statistiken jene über die Mortalitätsdaten.
Die Kranken- und Leichenhäuser teilen die Personen der Kategorie „Obdachlose und andere“ zu, wenn diese Leute zum Beispiel einen Pass, aber keine offizielle Registrierung (Propiska) oder überhaupt keine Dokumente besitzen.
Nochlechka schätzt, dass jedes Jahr ungefähr dreitausend Sans-Papiers gewaltsam sterben.

Manchmal machen sie Schlagzeilen in den Medien
Auf mehrere Hundert völlig ignorierte Fälle werden einige wenige bekannt.
2015 besprühen Hooligans einen Obdachlosen, der in einem Treppenhaus schlief, mit Benzin.
2018 zünden in Toliatti Jugendliche einen Obdachlosen an und filmen den Horror.
2021 steckt in der Region Leningrad ein Blogger von 16 Jahren den Bart eines Obdachlosen in Brand und stellt ein Video seiner Foltertat ins Internet.
Ebenfall 2021 zünden Jugendliche aus Konakowo ein verlassenes Haus an, in dem drei Obdachlose verkohlen.

Banale Gewalt
Das Überleben auf der Strasse ist Synonym extremer Verwundbarkeit, physisch und moralisch, stellt Daria Baibakowa fest.
Wenn die Leute an öffentlichen Orten schlafen, sind sie schutzlos. Unsere Kunden kommen regelmässig mit Verletzungen zu uns: gebrochene Glieder, offene Wunden.
Dies ist sehr erschreckend.
Wir machen alles in unserer Macht stehende, um ihnen zu helfen, aber die Aufgabe ist riesig.

Die Obdachlosigkeit ist am 24. Februar nicht verschwunden
Heute führen wir täglich unsere humanitären Aktionen weiter.
Einen grossen Dank für ihr Vertrauen, bitte fahren Sie weiter, unsere Arbeit zu unterstützen.
Sie rettet zahlreiche Leben.

Wichtig: Trotz der Boykottmassnahmen gelingt es uns immer noch, unsere mehr denn je notwendige finanzielle Unterstützung nach Russland zu transferieren.

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