Stinken verboten

Wussten Sie, dass es seit dem 1. September Personen mit „schmutzigen und übelriechenden Kleidern“ verboten ist, Bahnhöfe, Züge und ganz allgemein öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen? Das hat das russische Transportministerium angeordnet.

Weniger Schutzräume, mehr Tote im Winter
Für die Obdachlosen bedeutet dieses Dekret, dass die Bahnhöfe noch seltener als früher als mögliche Unterstände dienen können. Sie dürfen auch nicht mehr den Bus oder das Tram benutzen. Zusammengefasst bedeutet dieser Entscheid: «Raus auf die Strasse! Schaut selber, wie ihr überlebt!“
Wir wissen ja, dass es keine staatlichen Betreuungseinrichtungen gibt, z. B. keine Duschen, die obdachlosen Sans-Papiers zur Verfügung stehen würden.

Eine Flasche Wasser als Dusche
Empört hat Nochlechka das Transportministerium schriftlich aufgefordert, auf diesen Entscheid zurückzukommen und den Zugang zu öffentlichen Duschen zu vereinfachen, Duschen, die wirklich allen zugänglich sind, die so dringend benötigt werden.
Die obdachlose Elena, die nur ab und zu eine Flasche Wasser hat, um sich zu waschen, würde sich darüber sicher nicht beklagen.
Stellen Sie sich vor, wie praktisch das ist, sagt sie voller Ironie. Ich muss immer entscheiden, ob ich meinen Durst löschen oder mich waschen will. Und um mich zu waschen, muss ich auch noch einen Ort finden, wo das möglich ist, wo ich nicht beschuldigt werde, gegen die guten Sitten zu verstossen. Manchmal frage ich mich, ob es nicht besser wäre, man steckte mich ins Gefängnis.

Die Duschen von Nochlechka
Es missfällt uns, dass einige Menschen schlecht riechen, aber es käme uns nie in den Sinn, dass die obdachlosen Sans-Papiers einfach keinen Ort haben, wo sie sich waschen und ihre Wäsche machen können, betont Andrei Tschapajev, der Verantwortliche für die humanitären Projekte von Nochlechka.
Deshalb hat Nochlechka in den Jahren 2018 und 2020 in Sankt Petersburg zwei Einrichtungen mit Duschen und Waschmaschinen eröffnet. Seit 2021 besitzt Nochlechka auch in Moskau eine solche Einrichtung. Diese drei Orte werden jeden Monat von ungefähr 400 Personen besucht. Das ist wenig, wenn man an die Zehntausenden von Obdachlosen denkt, die in diesen zwei Städten zu überleben versuchen.
Aber es ist viel, denn diese Duschen sind einmalig in ganz Russland. Es gibt nirgends welche, die den obdachlosen Sans-Papiers zur Verfügung stehen würden.

Einer von fünf?
Um die zahlreichen Forderungen bei den verschiedenen staatlichen Stellen zu unterstreichen, hat Nochlechka kürzlich eine Umfrage über die Obdachlosigkeit in Auftrag gegeben.
Dabei handelt es sich um ein randomisiertes Auswahlverfahren, basierend auf Handynummern. Vom 23. bis zum 25. Oktober wurden 1004 Personen, alles Erwachsene, in den wichtigsten Regionen der Russischen Föderation befragt. Hier können Sie die vollständige Umfrage auf Russisch lesen.
Die Umfrage zeigt, dass einer von fünf Bewohnern Russlands ein Obdachloser sein könnte. Das scheint übertrieben.
Und doch leben sehr viele Personen in einer Situation von versteckter Obdachlosigkeit, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie haben keine eigene Unterkunft, leben in Heimen, bei Verwandten oder Freunden oder in ungeeigneten Räumlichkeiten.
Aber für die Mehrheit der befragten Personen ist man nur dann obdachlos, wenn man auf der Strasse lebt.

Verletzlicher, als es scheint?
Es ist schwierig, diese Meinung zu beurteilen. Ist es eine Art, seine eigene soziale Not zu relativieren? Sich zu sagen, dass es noch nicht so schlimm ist, solange man noch nicht auf der Strasse steht?
So gesehen denken nur 7% der Befragten, dass sie Gefahr laufen, nächstes Jahr auf der Strasse zu landen. Alle übrigen haben geantwortet, dass die Gefahr klein oder inexistent sei.
Dieser Prozentsatz zeigt, dass die Leute ihre soziale und ökonomische Gefährdung vielleicht nicht wahrnehmen. Sie können oder wollen nicht begreifen, dass ihre aktuelle Lebenssituation zu Obdachlosigkeit führen kann, bemerkt Dimitri Rogosin, Soziologe und Verantwortlicher der Umfrage.

In Russland genügt eine Veränderung im Leben, dass selbst eine sozial relativ stabile Person plötzlich in eine Situation grösster Armut abgleitet.
Die Gründe dafür sind hauptsächlich die schädlichen Folgen der Propiska.

Unsere Aufgabe ist riesig. Helfen sie uns, Leben zu retten. Der Winter ist da.

Wichtig: Trotz der Boykottmassnahmen ist es uns weiterhin möglich, Ihre Unterstützungsbeiträge zu überweisen.

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