Eines der wichtigsten Anliegen von Nochlechka ist es zu verhindern, dass Menschen, die das Rehabilitationszentrum durchlaufen haben, wieder auf der Strasse landen.
Wir wissen, dass das Überleben im Freien die obdachlosen Sans-Papiers psychologisch prägt. Für solche Leute ist es sehr schwierig, sich wieder in unsere Gesellschaft einzufügen, in der Verbote, Regeln, Zeitvorgaben und Zwänge aller Art bestehen, erklärt Igor, unser Psychologe.
Ein beängstigender Alltag
Man könnte meinen, dass ihre Wiedereingliederung einfach ist, aber man merkt, dass ehemalige Obdachlose nach der Rückkehr in ein normaleres Leben noch lange an den Spuren der Obdachlosigkeit leiden, sagt Igor.
Eine obdachlose Person erinnert sich sehr gut an diese schreckliche, traumatisierende Episode ihres Lebens. Das Überleben auf der Strasse führt zu einem ständigen Gefühl der Angst und der völligen Verunsicherung. Während sie im Zentrum eine gewisse Sicherheit verspürt, umgeben von Sozialarbeitern, Psychologen und der gesamten Betreuungsstruktur, bricht sie in Panik aus, sobald sie die Unterkunft wieder verlässt, weil sie Angst hat, dass irgendetwas nicht klappt, etwas schiefgeht und sie wieder auf der Strasse landet.
Ausserdem ist es für ehemalige Drogen- und Alkoholabhängige extrem schwierig, nüchtern zu bleiben angesichts der riesigen Herausforderung der Wiedereingliederung. In der Regel erleiden die Süchtigen mehrere Rückfälle, bevor sie ein stabiles Leben ohne Alkohol führen können, ergänzt Igor.
Die Nachbetreuung
Nach einer sechsmonatigen Entziehungskur überreicht unser Rehabilitationszentrum mit dem passenden Namen «Auf halbem Weg» den Teilnehmern ein symbolisches Diplom, erzählt Elisaveta Savchenko, eine Sozialarbeiterin.
Um ihnen eine erste Krise zu ersparen, schlagen wir den Austretenden vor, etwa einen Monat lang in einem Übergangshaus zu wohnen, wo sie von unseren Spezialisten unterstützt werden. So werden sie stabiler sein, wenn sie einmal allein im Alltag stehen.
Auf jeden Fall betreuen wir sie nach ihrer Entlassung aus dem Zentrum weiter und unterstützen sie wenn nötig. Und einmal im Jahr organisieren wir ein Ehemaligentreffen.
Das Wiedersehen
Das war letztmals am 29. Juli der Fall, ein Tag, der unseren “Absolventen” gewidmet war. Es gab Gegrilltes, Aprikosen, Limonade zum Trinken und viele Emotionen.
Ich freue mich immer auf diesen Tag, sagt Elisaveta Savchenko. Es ist die Gelegenheit für unsere ehemaligen obdachlosen Sans-Papiers, sich zu treffen und einander von ihren neuen Lebenserfahrungen zu berichten.
Viktor sprach einen Toast aus, scherzte und schilderte uns ironisch seine nicht besonders erfolgreichen Abenteuer seit der Entlassung aus dem Zentrum. Olga erzählte uns, dass sie eine Arbeit in der Montage von Maschinenspulen gefunden habe.
In Kontakt bleiben
Zusätzlich zu den regelmässigen Telefongesprächen ist diese Art von Treffen ein fester Bestandteil der Nachbetreuung durch unseren Sozialdienst. Es ermöglicht uns zu erfahren, wie es ihnen geht und ob sie Hilfe benötigen.
Zudem sind ihre Erfahrungen bei der Wiedereingliederung und ihre Berichte zu ihrem jetzigen Leben für uns ausserordentlich wichtig; sie helfen uns, die Ratschläge, die wir den «Neuen» geben, zu verbessern und anzupassen, erklärt Elisaveta Savchenko.
Zur Halbzeit
Das 2019 eröffnete Rehabilitationszentrum in St. Petersburg kann bis zu 14 Personen aufnehmen. Sie erhalten dort Betreuung, Unterkunft und Verpflegung.
Die sechs Monate dauernde Rehabilitation basiert auf den Grundsätzen der Vereinigung der Anonymen Alkoholiker.
Sie umfasst Einzel- und Gruppensitzungen mit Drogenberatern und Psychologinnen. Die täglichen Treffen der Teilnehmenden werden geleitet von Fachpersonen sowie von ehemaligen obdachlosen Alkoholikern und Drogenabhängigen, die ihre Sucht überwunden haben.
Darüber hinaus helfen die Anwälte von Nochlechka jedem Einzelnen bei der Lösung seiner rechtlichen und administrativen Probleme und erleichtern ihm so die Rückkehr in einen menschlicheren Alltag.
Mit Hilfe dieser verschiedenen Dienste finden diese Menschen oftmals eine Arbeit und ein Zimmer zur Miete.
Unsere Aufgabe ist riesig, helfen Sie uns, Leben zu retten.
Wichtig: Trotz der Tücken des Boykotts gelingt es uns immer wieder, Ihre finanzielle Unterstützung weiterzuleiten.