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Es ist unglaublich, aber wahr. Während Tausende von obdachlosen Sans-Papiers dem Winter ausgeliefert sind, ohne jegliche Möglichkeit, irgendwo unterzukommen, sind die von den Moskauer Behörden zur Verfügung gestellten Notunterkünfte beinahe leer.
Nochlechka hat im Auftrag der Stadt eine Untersuchung durchgeführt. Eine Zusammenarbeit, die eigentlich Anlass zu Hoffnung geben könnte.
Ein paradoxer Vergleich
Nochlechka hat vier staatliche Einrichtungen besucht. Drei dieser Unterkünfte sind leer, im vierten sind nur zwei Obdachlose untergebracht.
Gleichzeitig muss das Überlebenszelt von Nochlechka Leute abweisen, weil nicht mehr als fünfzig Personen pro Nacht aufgenommen werden können.
Weshalb lehnen Obdachlose die Angebote der Stadt ab, obwohl sie wissen, dass die Nachfrage nach Unterkünften, in denen man die Nacht in Sicherheit und an der Wärme verbringen kann, sehr gross ist?
Eine neue Zusammenarbeit
Um zu versuchen, die Situation zu verstehen, sind wir den sozialen Diensten, die uns diese Besuche ermöglicht haben, sehr dankbar. Die Besuche sollen dazu führen, dass wir in nächster Zukunft das Unterstützungssystem für Obdachlose verbessern können, betont Kirill Karev, der Verantwortliche für die humanitären Projekte von Nochlechka.
Die Zusammenarbeit ist für uns aussergewöhnlich wertvoll. Es ist sehr erfreulich, dass unsere Kollegen aus der Behörde so offen sind für einen Dialog mit uns und bereit zu sein scheinen, Veränderungen vorzunehmen.
Das Leben und die Gesundheit der obdachlosen Sans-Papiers zu schützen, ist im Winter das Hauptanliegen von uns allen, ob humanitäre Helfer oder Angestellte der Sozialdienste.
Wenig attraktiv
Ich glaube nicht, dass diese auffälligen Unterschiede der Betreuung die Folge einer besseren Arbeit unsererseits sind, fährt Kirill Karev fort.
Meiner Ansicht nach erklären sie sich aus der unterschiedlichen Art des Angebots.
Die Stadt schlägt verschiedene Möglichkeiten vor: zwei geheizte Zelte, ausgerüstet mit Schlafplätzen, eines an der Ilovaiskaya-Strasse und das andere an der Izhorskaya-Strasse. Es hat noch weitere Unterkünfte, aber die Obdachlosen müssen dort auf Stühlen ohne Lehne sitzen und dürfen maximal zwölf Stunden bleiben.
Es gibt auch staatliche Minibusse, die vor den Bahnhöfen stationiert sind. Aber dort ist es unmöglich zu schlafen, zu essen oder seine Winterkleider auszuziehen. Und alle zwei Stunden muss man wieder in die kalte Nacht rausgehen, damit die Fahrzeuge gelüftet werden können.
Stellen Sie sich ein Dutzend zusammengepferchte Leute in diesem engen Raum vor. Sie haben viel zu heiss und ersticken beinahe. Und wenn sie dann nach draussen in die klirrende Kälte müssen, ist der Kontrast extrem.
Hinzu kommt, dass viele Obdachlose in Moskau die verschiedenen Angebote gar nicht kennen.
Unsere Untersuchung hat ergeben, dass die Obdachlosen nur übers Internet die Adressen dieser Unterkünfte in Erfahrung bringen können, und dazu brauchen sie einen Internetzugang, was jedoch häufig nicht der Fall ist, sagt Kirill Karev.
Ungeeignet?
Die zwei geheizten Zentren, das an der Ilovaiskaya- und das an der Izhorskaya-Strasse, sind grosse, helle und freundliche Zelte. Es ist offensichtlich, dass die Stadt viel Geld für ihre Ausstattung ausgegeben hat. Dennoch werden sie von den Menschen, die auf der Strasse leben, nicht benutzt, erklärt Kirill Karev.
Gleichzeitig ist unser Zelt immer voll trotz vieler Unannehmlichkeiten. Es befindet sich in einem Aussenquartier, das nur mit dem Bus erreichbar und mit einem Rollstuhl völlig unzugänglich ist. Und ständig hört man den Lärm der nahe gelegenen Ringautohahn, die Moskau umfährt.
Wissen Sie, trotz aller Nachteile bin ich lieber hier, erzählt Pasha, ein Obdachloser, den wir vor dem Zelt angetroffen haben. Oder dann ich hänge eher in einem Bahnhof rum, als dass ich in einem der von den Behörden angebotenen Zelte Unterschlupf suchen würde. Ich fühle mich dort nicht wohl. Ich weiss auch nicht, warum. Es ist einfach so.
Die Obdachlosen besser betreuen
Ist es denkbar, dass Obdachlose, die nur allzu sehr die schlechte Behandlung durch die Polizei gewohnt sind, staatlichen Stellen misstrauen?
Dank seiner langjährigen Erfahrung schlägt Nochlechka daher den offiziellen Stellen vor, sie dabei zu unterstützen, ihre Aufnahmezentren ohne grossen Aufwand zu verbessern, so dass sie auch von den Obdachlosen benützt werden.
Dazu gehört zum Beispiel, dass eine obdachlose Person die Winterjacke zum Schlafen ausziehen kann, dass die Unterkünfte rund um die Uhr offen bleiben, dass die Verteilung der Ankommenden organisiert wird und keine Identitätspapiere verlangt werden, da sie ja ohnehin meist keine haben.
Lösungen braucht es dringend, und sie sind nicht kompliziert. Vergessen wir nicht, dass im letzten Winter mehr als 5’000 obdachlose Sans-Papiers in Moskau gestorben sind.
Wird diese neue Zusammenarbeit Früchte tragen? Oder ist es nur eine neue, kurzlebige Aktion der Sozialdienste, wie es schon einige gegeben hat in Moskau und in Sankt Petersburg?
Unsere humanitäre Arbeit ist riesig. Wir benötigen Ihre Unterstützung. Danke, dass Sie uns helfen, Leben zu retten.
Wichtig: Trotz des Bankenboykotts wird unsere finanzielle Unterstützung weitergeführt.