Der Winter von Sergei

Welch angenehmes Gefühl, diese Schüssel Suppe, sie wärmte nicht nur die Hände, den Magen, den Körper, sondern sie wärmte auch den Mut, den du brauchst, um im Winter auf der Strasse zu überleben, erzählt Sergei im Empfangszentrum von Moskau.

Der Sturz
Sergei war Informatik-Designer, er verbrachte eine angenehme Existenz. Und urplötzlich war er entlassen, den Jungen Platz machen, wie er es erzählt. Ohne Arbeit, schwierig, mit 45 wieder eine Stelle zu finden. Der Haushalt zerfällt, die Scheidung. Die Wohnung lautet auf den Namen seiner Frau, Sergei ist ohne Unterkunft. Der Zerfall geht weiter, ohne fixe Wohnadresse verliert er seine Propiska und ohne diesen administrativen Sesam landet Sergei auf der Strasse.
Wir befinden uns im November 2023, der Winter ist gekommen.

Lernen, zu überleben
Die ersten Tage sind absolut schrecklich. Natürlich gibt es dieses widerliche Wetter, den Hunger, der einen plagt, vor allem ist es aber dieses Gefühl, in einen Schlund ohne Ende, ohne Boden zu fallen. Ein Gefühl der totalen, beklemmenden Verzweiflung umgibt Sie. Gleichzeitig hat man keine Zeit, sich über sein Schicksal aufzuhalten, man muss überleben.
Etwas zu essen finden, wohin sich bei Regen flüchten, bei starkem Wind, wenn es schneit, wo warme Kleider auftreiben, wo sich bei Unwettern geschützt erholen können. Eine immerwährende Suche. Aufreibend.
Die Chance, wenn man so sagen kann, ist, dass man sich schnell mit andern Leidensgenossen zusammenfindet, bereits Erfahrene, die einem Tricks geben, Adressen.
Dank ihnen habe ich den Nachtbus getroffen und durch ihn Nochlechka.
Einmal im Empfangszentrum untergebracht, hat ihre Organisation mir zu helfen begonnen, eine neue Existenz wiederzufinden, erzählt uns Sergei.

Ein kühnes Projekt
Wir haben mit ihm ein recht ehrgeiziges Betreuungsprogramm erarbeitet, ihm in der Informatik eine Stelle zu finden, erklärt Tanya Romanko, Arbeitsspezialist bei Nochlechka Moskau.
Sergei hat bereits einen Berater im Personalwesen getroffen, mit dem sie eine Anstellungs-Strategie entwickelt und sein Curriculum Viae verfeinert haben.
In der Zwischenzeit, bis sich ein Angebot in der Informatik konkretisiert, hat Sergei in Teilzeitarbeit bei uns als Kurier gearbeitet.
Wir haben auch im Web Annoncen geschaltet, welche die Dienstleistungen von Sergei anboten. Wir hoffen, dass er schnell Offerten in seinem Spezialgebiet, der Web-Konzeption, erhalten wird. Wir wollen ihm ebenfalls eine berufliche Umschulung vorschlagen, falls sich auf der Informatikseite nichts passiert.
Wichtig ist, dass Sergei schnell eine stabile Arbeit findet. Dass er seinen bedrückenden Status des Obdachlosen verlässt, dass er ein Zimmer mieten, sich neu aufbauen und vorwärtsgehen kann.

Den bösen Zauber unterbrechen
Tanya Romanko unterstreicht, wie grundlegend wichtig es ist, dass der Obdachlose möglichst wenig lange auf der Strasse bleibt. Je länger sein Aufenthalt dauert, desto schwieriger wird seine Rückkehr in einen stabileren Alltag sein.
Selbst wenn Sie die Strasse „nur“ zwei bis drei Wochen erleben, sind die Narben beinahe irreversibel. Es bleibt immer eine tiefgreifende Unsicherheit. Dieses stressige Gefühl ist eine Bremse beim weiteren Vorangehen, um eine stabile Basis wiederzufinden.
Unsere Psychologen sind da, um die Fortschritte bei der Wiedereingliederung zu unterstützen. Selbst wenn der Obdachlose ein „normales“ Leben gefunden hat, kann es sein, dass wir ihm weiterhin folgen, ihn unterstützen.

Ohne Recht
Stellen Sie sich vor, wie  unendlich schwierig oder gar unmöglich die Aufgabe wird, jene wieder in unsere Realitäten, unsere Strukturen einzugliedern, wenn sie auf der Strasse dahinvegitieren, manchmal während Jahren.
Wir bei Nochlechka möchten uns um zahlreiche weitere Unglückliche kümmern. Unsere bescheidenen Strukturen erlauben es nicht und unsere aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbauen jegliche Möglichkeit einer Vergrösserung, folgert Tanya Romanko ein wenig traurig.

Schade, dass es keine behördliche Verpflichtung gibt, den obdachlosen Sans-Papiers zu helfen. Aber was soll es, ein Sans-Papier hat keine Rechte. Und wie könnte ein Sans-Papier ohne Recht vom Staat verlangen, ihm zu Hilfe zu kommen?

Unsere Aufgabe ist immens, helfen Sie uns, Leben zu retten. Zudem ist es Winter.

Wichtig:  trotz der Boykott-Massnahmen gelingt es uns immer, ihre finanzielle Unterstützung zu transferieren.

 

 

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