Der Friedhof der Vergessenen

Hinter einer mit Wasser gefüllten Schlucht, von Gras überwuchert, steht eine Reihe gleicher Gräber, verlassen, durch die Jahre abgesenkt, nur die verblassten Nummern unterscheiden sie.
Wir sind beim letzten Zuhause der obdachlosen Sans-Papiers, das Feld der Armen.

Yuris Tod
Yuri ist vor drei Tagen gestorben, vermutlich an den Folgen eines Schlaganfalls. Er war am Kopf verletzt und wurde in die Intensivstation der Neurochirurgie des Krankenhauses Botkin überführt.
Leidensgenossen haben ihn am Wochenende besucht, haben im Rahmen ihrer Möglichkeiten Produkte für die Pflege und Hygiene gebracht, haben ihn unterstützt, wie sie es am besten konnten.
Angesichts seiner Verletzung war aber nichts mehr zu machen.
Heute erzählt uns Andrei, freiwilliger Arzt von Hospital Charity, dass seine Freunde und Ana, mit der Yuri das tägliche Überleben teilte, ihn würdig begraben wollen.
Andrei: ich wusste, dass eine obdachlose Person kostenlos begraben werden kann. Ich habe ihnen das Vorgehen erklärt und erwähnt, keine Angst vor den Schwierigkeiten zu haben.

Ein sehr schmerzhafter Moment
Zwei Tage später haben sich die Freunde von Yuri mittags vor dem Krankenhaus getroffen, zum letzten Mal. Ana, seine Gefährtin, hat alles vorbereitet.
Mit vom vielen Weinen roten Augen hat sie in einem Satz ihre Existenz als Paar zusammengefasst: wir waren überall zusammen, immer, jederzeit, wir haben uns unterstützt, man hat sich geholfen, zu überleben, wir haben uns geliebt und heute bin ich da, stehe alleine den schrecklichen Härten der Strasse gegenüber.
Wird es etwas auf dem Grab haben
, fragt sich Ana laut.
Wir müssen ein Kreuz kaufen, erklärt Andre. Er verlässt das Büro des Begräbnisdienstes und kommt mit einem imposanten Kruzifix zurück, das er mit seinem Geld gekauft hat.

Ana, Wittve ohne Papiere
Man lädt den Sarg auf und alle drängen sich in den Lieferwagen.
Ana erzählt: Ich bin behindert. Meine Eltern waren im Militär, Mama ist Oberstleutnant beim ärztlichen Dienst, Papa Oberfeldweibel. Ich habe studiert und bin ins Institut für feinchemische Technologie in Moskau eingetreten. Dann wurde meine Mutter sehr krank, sie hatte Krebs. Wir sind nach Murmansk umgezogen und von dort in die Region von Tver, wo Papa geboren wurde. Dort sind meine Eltern gestorben.
Und das Schlamassel hat begonnen, die Wohnung verloren, die Propiska verloren. Bei meinem Umherirren bin ich auf Yuri gestossen, wir wollten heiraten, aber unmöglich ohne Papiere.

Das Viereck der Armen
Das Fahrzeug hält vor einem verkommenen Terrain an. In einem ebenso verlassenen Häuschen ein Wärter.
Wo sind die obdachlosen Sans-Papiers bestattet? fragt Andrei den Friedhofangestellten.
Wer?
Die Nicht-Identifizierten.
Dort hinten, antwortet er mit einer gleichgültigen Geste.
Ein Flecken Ödland, dieses Viereck der Armen. Wucherndes Unkraut überdeckt die verschiedenen Gräber. Ausgerüstet mit Schaufeln graben Alexei, Andrei, Ivan und Michail ein Loch und legen den Sarg hinein.
Als Grabrede sagt Michail: acht meiner Kumpel sind hier bestattet, sie haben den letzten Winter nicht überlebt.

Unterstützen Sie die Überlebenszelte, retten Sie Leben.

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