Wir wissen es, im Winter bei sibirischen Temperaturen auf der Strasse zu überleben ist eine Herausforderung.
Viele obdachlose Sans-Papiers unterliegen dabei. Jede Jahreszeit rafft der weisse Tod seine Anzahl Leute hinweg, die vom gleichgültigen Staat im Stich gelassen sind.
Im letzten Winter haben über 1’000 Personen ihr Leben verloren, in St. Petersburg, in Moskau.
Richtung Friedhof
Wenn wir nicht weiterhin an der Zunahme der Sterberate der Obdachlosen teilnehmen wollen, müssen wir über den Aufbau eines Systems für öffentliche Hilfe nachdenken, die allen zugänglich ist, auch den Sans-Papiers ohne Identität, in allen Regionen Russlands, erklärt Daria Baibakowa, Direktorin von Nochlechka Moskau.
Es würde sich auf die reellen Zahlen stützen und so das genaue Ausmass der Obdachlosigkeit in unserem Land ausweisen. Und nicht auf wage Todesfall-Schätzungen basierend oder sogar auf gefälschten Zahlen alter Erhebungen, wie es heute der Fall ist.
Zuverlässige Informationen sind grunglegend
Laut unanbhängigen Studien sterben die Obdachlosen im Durchschnitt 16 Jahre früher als Mieter. Man weiss auch, dass die Überlebenschancen auf der Strasse umso kleiner sind je mehr Zeit man dort verbringt.
Der Winter verstärkt diesen Prozess noch durch verschiedene Erkrankungen der Atemwege, durch Amputationen und schlecht versorgte Knochenbrüche. Diese Faktoren beschleunigen die Sterblichkeitsrate bei den obdachlosen Sans-Papiers, unterstreicht Daria.
Welch ein Stillstand
Seit über zwei Jahren steigt die Zahl der obdachlosen Sans-Papiers. Dies trifft nicht zu bei der staatlichen Hilfe, die sich quasi nicht weiterentwickelt.
Es gibt in Russland Städte, in denen kein einziges öffentliches Unterstützungs-Zentrum für Obdachlose gibt.
In Russland verfügt keine Stadt über eine genügende Anzahl geheizter Empfangszentren, wo Leute der Strasse die Nacht verbringen könnten, um nicht zu erfrieren. Die paar wenigen vorhandenen Orte akzeptieren niemanden ohne Ausweis.
Nur ausgelöschte Leben
Nochlechka hat soeben die Daten des Bundesamtes für Statistik des russischen Staates erhalten. Sie zeigen eine Rekordzahl von Toten Obdachlosen.
Seit 2016 fragt Nochlechka bei Rosstat jedes Jahr für Todesfall-Statisiken in den grossen Städten an. Rosstat teilt die Todesfälle in verschiedene Kategorien, von denen uns zwei speziell interessieren: die nicht identifizierten Toten und die Toten ohne Wohnadresse. Wir beurteilen diese Personen mit wenigen Ausnahmen als Obdachlose.
In 182 Grossstädten sind 2022 42’000 Obdachlose gestorben. Diese Anzahl ist vergleichbar mit der Bevölkerung von Torjok in der Region von Twer.
Zusammengefasst hat die Sterblichkeitsrate der Obdachlosen in den Städten um 12% zugenommen.
Unter den Städten, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, ist Moskau und deren Vororte. In der Hauptstadt ist eine starke Zunahme der Todesfälle registriert worden: 2022 starben dort 5’915 Obdachlose. Dies ist zweimal mehr als 2021 und auch mehr als 2020, als der Coronavirus Russland im Griff hatte.
Die andern Städte, wo die Mortalität der Obdachlosen höher ist als im Vorjahr, sind Simferopol (+14,5 %), Magadan (+13,8 %) und Domodedovo (+12,8 %).
In Podolsk, Lyubertsy, Krasnogorsk, Pushkin, Ramensk, Bratsk, Irkoutsk, Petropawlowsk-Kamtschatsk, Sewersk und Tomsk liegt dieser Prozentsatz über 10%.
Ohne Widerstand
Die durchschnittliche Sterberate von Obdachlosen ist um 4,4% höher als die gesamte Sterberate in Russland. Wir denken, dass diese Zahl die Tendenz umfassender zeigt als die Betrachtung der genauen Zahl der Todesfälle.
In Ermangelung eines effizienten staatlichen Hilfssystems, das in allen Regionen Russlands verfügbar und jedermann mit und ohne Ausweise zugänglich ist, wird die Mortalität Jahr um Jahr zunehmen.
Ein Wassertropfen gegenüber der Sterberate der Obdachlosen
Wie jeden Winter startet Nochlechka an die diversen staatlichen Instanzen einen Aufruf zur Hilfe: helft uns, die obdachlosen Sans-Papiers zu retten, lasst sie nicht erfrieren.
Umsonst.
Wie jeden Winter errichtet Nochlechka zwei geheizte Zelte, wo der Obdachlose Unterschlupf, Sicherheit, warmes Essen und erste Hilfe findet.
Ihre Gesamtkapazität beträgt rund hundert Personen. Was geschieht mit den andern Tausenden von Obdachlosen?
Unsere Aufgabe ist riesig, helfen Sie uns, Leben zu retten, der Winter ist da.
Wichtig: trotz der Boykott-Massnahmen gelingt es uns immer, ihre finanzielle Unterstützung zu transferieren.