Der russische Abgeordnete Vitaly Milonow, international bekannt für sein Gesetz, das die Homosexuellen kriminalisiert, hat heute beschlossen, etwas gegen die russischen Obdachlosen ohne gültigen Ausweis zu unternehmen.
Gemäss der Zeitung “Izvestia” wird Milonow, Mitglied der Partei «Einiges Russland» von Vla-dimir Putin, nach dem Beginn der Herbst-Session des Parlamentes in Sankt Petersburg seinen Ratskollegen sein Projekt vorstellen: die Errichtung von Arbeitslagern für Obdachlose, weitab jeglicher Agglomeration.
Diese Initiative erinnert an die Massnahme der sowjetischen Behörden, welche mehrere Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges alle Kriegsverletzten aus Sankt Petersburg auswiesen, da diese mit ihrer Anwesenheit das Strassenbild der Stadt beeinträchtigten.
Gemäss Vitaly Milonow darf eine Person nicht auf der Strasse schlafen und ein Obdachloser deshalb nicht erfrieren müssen. Kinder und Betagte dürfen nicht sich selbst überlassen sein. Milonow ergänzt noch, dass zahlreiche obdachlose Personen Träger gefährlicher Krankhei-ten sind und andere anstecken können.
Die Zwangsumsiedlung der Unerwünschten
Seine Lösung ist einfach, ja sogar simpel: ehemalige abgelegene Kolchosen sollen wieder in Betrieb genommen, darin Schlafräume eingerichtet und die Obdachlosen dahin umgesiedelt werden. Milonow präzisiert, dass diese Lager durch Spezialisten des Gesundheits Ministeriums kontrolliert würden. Dies würde auch die monatlichen Impfungen ermöglichen.
Vitaly Milonow schliesst eine Variante zur Zwangsumsiedlung nicht aus. «Der Mann auf der Strasse soll die Wahl haben: Falls Sie keine Unterkunft haben, siedeln wir Sie in die Region von Vologda um (über 400km nördlich von Moskau am Eingang des Grossen Nordens gelegen), wo Sie leben werden, wo wir Ihnen eine Beschäftigung geben sowie eine Dusche, ein Dach, etc. Falls Sie dies ablehnen, werden sie in Arbeitslager transferiert», erklärt der Abgeordnete.
Für den Direktor der russischen Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) Nochlezhka, Grigory Sverdlin, schlägt der Abgeordnete Vitaly Milonow keinerlei Lösung für die Problematik der Obdachlosen vor. Grigory Sverdlin erklärt uns: «Diese radikalen Lösungen ändern nichts an der Situation der Obdachlosen, sie verbergen lediglich das Problem. Zudem gibt es keine juristische Grundlage, um die Leute zum Umziehen zu zwingen. Die obdachlosen Sans-Papiers haben kein Verbrechen begangen. Ihr einziges «Vergehen» besteht darin, dass ihnen der Staat den landes-internen Pass vorenthält und sie in der Folge keine Unterkunft mehr finden».
«Ich bin einverstanden mit Milonow», ergänzt Grigory Sverdlin, «niemand darf die Nacht auf der Strasse verbringen müssen. Dieses Problem kann aber mit den Massnahmen, die der Abgeordnete vorschlägt, nicht gelöst werden. Die Ursache muss bekämpft werden, welche diese Leute in Russland obdachlos macht».
Über 4 Millionen Obdachlose in Russland
Halten wir uns nochmals vor Augen, dass in Russland die Zahl der Sans-Papiers 4 Millionen übersteigt. Allein in Sankt Petersburg zählt man deren Zehntausende. Zudem muss wiederholt werden, dass die russische Obdachlosigkeit Ausdruck der schweren Krise ist, die hauptsächlich das Gebiet der Menschenrechte betrifft. In der Tat können in Russland einem Bürger alle Rechte vorenthalten werden. Es genügt, dass er seine Propiska nicht ordnungs gemäss in seinem internen Pass eingetragen hat. Die Propiska ist der administrative Status, den der russische Bürger erhält, wenn er seinen Wohnort registrieren lässt.
Diese Anmeldung ist der alleinige Schlüssel zu einer «bürokratischen Existenz» und zu den damit verbun-denen Rechten. Was immer der Grund dazu sein mag: wenn Sie ihre Propiska verlieren, werden Sie in ihrem eigenen Land staatenlos und damit sehr schnell obdachlos.
Im Gegensatz zu Europa sind die russischen Obdachlosen damit meistens Opfer des Büro kratischen Systems und nur 10% davon entsprechen den Kriterien eines europäischen Obdachlosen.
Angesichts dieser anerkannten Tatsache geben sich zahlreiche Russen, ob Politiker oder nicht, damit zufrieden, das Problem zu leugnen. Die kürzliche Erklärung von Igor Cherny shev, Mitglied des Komitees des Bundesrates für die Sozialpolitik, illustriert diese Geistes-haltung sehr gut: «Die Obdachlosen schätzen diesen Lebensstil und fühlen sich wohl dabei».
Erinnerungen an die Vergangenheit
Ilya Kostunov, ein anderer Abgeordneter der Partei «Einiges Russland», unterstützt die Arbeitslager-Initiative: «Ein Pilot-Versuch für die Obdachlosen muss realisiert werden, um die Machbarkeit der Idee zu überprüfen. Die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen dazu müssen geschaffen werden. Wir müssen den Obdachlosen garantieren, dass sie eine Stelle haben unter der Bedingung, dass sie nicht trinken und die Gesetze nicht missachten».
Erstaunlich ist, dass in diesem Zusammenhang kein Politiker und keine Partei vorschlägt, das Propiska-Gesetz, welches aus der Zaren-Zeit stammt, zu reformieren; ein Gesetz, das grösstenteils für das Obdachlosen-Problem in Russland verantwortlich ist.
Vitaly Milonow’s Absichten erinnern uns an die Zeit der UdSSR, wo das Konzept bezüglich der «Parasiten» ursprünglich auf Bettler und Landstreicher angewandt und später nach und nach auf eine grössere randständige Personengruppe ausgeweitet wurde, auf jene Leute nämlich, welche als «unnütz für die Gesellschaft» eingestuft wurden. Diese wurden eben falls sehr häufig in Lager deportiert.
Heute die Obdachlosen, morgen die Homosexuellen, wer ist übermorgen an der Reihe?
Angesichts Milonow’s Machenschaften haben sich die russischen ONG, welche die Menschenrechte verteidigen, massiv mobilisiert. Sie hoffen, dass sich die Bevölkerung an der Debatte beteiligt und dieses Projekt bekämpft.