23-03-13 Überlebenszelt: die Diktatur des Kalenders

In Sankt-Petersburg hat für die pingeligen Funktionäre der Administration der Frühling begonnen.

 

Heute ist der 20. März, der Frühling ist da und damit auch der Zeitpunkt, um bis Ende Monat das Überlebenszelt abzubrechen. So haben sie es von Nochlezhka verlangt.

 

Und ob: Der Winter mit seinen minus zehn Grad ist immer noch voll präsent. Aber es ist ja unwichtig, ob die russischen Sans-Papiers weiterhin in der Kälte erfrieren, bis der richtige Frühling mit seinen schönen Tagen zurück ist.

 

Mindestens sind nicht alle Neuigkeiten von der Front so absurd.

 

Am 19. Februar 2013 informierte Nochlezhka N.S.S., dass das Budget für das Überlebenszelt gedeckt ist. Dies Dank Ihren zahlreichen Spenden sowie anderweitiger Unterstützung.

 

Während den kältesten Dezembertagen hatte die Direktion des Ministeriums für Notfallsituationen mobile Küchen für die Obdachlosen installiert. Diese befanden sich jedoch entweder an schwer zugänglichen Orten oder neben dem Überlebenszelt, wo die Ärmsten bereits von Nochlezhka Essen erhalten. Zudem hat das genannte Ministerium immer noch keine Rechte, die es ihm erlaubt, geheizte Zelte aufzustellen. Jahr für Jahr bleibt die effektive Mithilfe der öffentlichen Hand hoffnungslos.

In der Tat sind gemäss den offiziellen Statistiken in den Monaten November 2011 bis März 2012 ingesamt 1002 obdachlose Sans-Papiers in der Kälte umgekommen. Hunderte wurden infolge der Erfrierungen zu Behinderten. Nochlezhka befürchtet, dass die Zahlen des Winters 2012-2013 gleich alarmierend sein werden: laut den Informationen der Staatsanwaltschaft von Sankt-Petersburg sind allein im Dezember 147 Personen erfroren.

 

Ungenügende staatliche Hilfe

Auf der andern Seite hat Alexander Rjanenkow, Präsident des Komitees für Sozialpolitik, in seiner Antwort auf die Fragen von Nochlezhka erklärt,  dass es in der Stadt 4 geheizte Unterkünfte gibt: in den Distrikten Admiraltejskiy, Kalininskiy, Newskiy und Primorskiy. Gemäss Berechnungen des Komitees haben diese eine Kapazität für 120 Personen. Die Erhebungen von 2002 zeigen aber, dass es in Sankt-Petersburg 28’000 Obdachlose gibt. Die auf dem Gebiet arbeitenden Nichtregierungs-Organisationen schätzen diese Zahl jedoch zwischen 60’000 und 70’000.

 

Von den 4 durch das Komitee erwähnten Zentren arbeiten nur jene effizient, die in Zusammenarbeit mit den karitativen Organisationen installiert wurden. Es sind dies die geheizten Zelte der Distrikte Admiraltejskiy und Primorskiy.

 

Die beiden kleinen «staatlichen» Zelte von Newskiy und Kalininskiy dagegen wurden an ungeeigneten Orten errichtet: bis Ende Dezember hat niemand die Nacht im Zelt verbracht, das sich auf dem Gelände der Nachtunterkunft von Newskiy befindet; das Zelt von Kalininskiy meldete erst gegen Ende Jahr Übernachtungen (6-7 Personen pro Nacht). Zudem ist das erstgenannte mit 4 Betten ausgerüstet, es kann nur 20 Personen aufnehmen. Die Kapazität des zweiten beträgt 10 Personen.

 

Ein Notbehelf

Bei der von der Verwaltung der Distrikts Krasnogvardejskiy angekündigten Herberge handelt es sich um einen Raum in der Nachtunterkunft, der für 6 Personen vorgesehen ist. Die Obdachlosen erhalten dort eine warme Mahlzeit und ärztliche Hilfe. Sie können sich einen Moment aufwärmen, dürfen aber nicht die Nacht dort verbringen.

 

Bereits seit Jahren sind es lediglich die Zelte von Nochlezhka und dem «Malteser-Hilfsdienst» an der Kolomyasnskiy Avenue, welche die Aufgabe «Überleben für die Obdachlosen» richtig erfüllen. Sie sind jedoch lediglich ein Notbehelf angesichts der grossen Not der petersburger Bürger ohne Ausweise und ohne Unterkunft.