Slawa, der Waise

In Russland ist der Austritt aus dem Waisenheim stets eine harte Prüfung. Der Waise ist sehr selten auf den Dschungel vorbereitet, der ihn erwartet.
Dies ist auch so bei Slawa Egorov, 23 jährig.
Slawa verliert seine Mutter bereits im Alter von 10 Jahren. Er ist 14, als seine Grossmutter stirbt. Slawa sagt wenig von seinem Vater, da er ihn nur sehr selten gesehen hat. Ohne eine Familie, die ihn aufnimmt, kommt er ins Waisenheim.
Ein harter Ort, ohne Liebe, ein Unterschlupf, wo die Waisen sehr hart behandelt werden und wo Slawa nach dem Tode seiner Bezugspersonen keinerlei Trost findet.

Selbstmord-Versuche
Ich konnte nicht mehr, sagt uns Slawa. Ich habe zwei Selbstmord-Versuche verübt; einmal durch Verschlucken eines Stück Stoffes. Ich wurde umgehend in ein psychiatrisches Spital eingeliefert, wo man meine Ängste mit Spritzen behandelte, die mich bewisstlos machten.Nach vier Monaten solcher Behandlung ist es nur normal, dass man beim Austritt angeschlagen ist.
Ende 2013 verlasse ich, zwanzigjährig, endlich das Waisenheim mit der einzigen Idee im Kopf, das Grab meiner Mutter zu finden.
Niemand kam bei ihrer Beisetzung. Da das Geld fehlte, wurde sie eingeäschert, welche ein Schock! Alles, was nach dieser Katastrophe blieb, war das Zimmer meiner Grossmutter. Als Kriegs-Veteranin hatte sie dieses zugesprochen erhalten und ich konnte mich darin installieren.

Gewaltsamer Betrug
Ich teilte dieses Zimmer mit einem Kollegen des Waisenheims, der mir zwei sogenannte Immobilien-Makler vorstellte, Yunin Roman Alexandrowitsch und Parschukov Wasily. Immobilien-Makler? Schon eher Kriminelle.
Yunin Roman Alexandrowitsch und Parschukov Wasily haben mich geschlagen, mit dem Tod bedroht und mir die Wohnungsschlüssel entrissen. Mein Kollege steckte zweifellos mit ihnen unter einer Decke.
Ich bin völlig geschunden im Dorf Gatchina erwacht. „Immerhin hat man Sie nicht umgebracht“, sagt ein Unbekannter zu mir, nimmt mich mit und verspricht mir Arbeit in Veliky Novgorod, etwa sechzig Kilometer von dort.
Schwarzarbeit. Drei Monate 25 Kilo schwere Ziegelstein-Säcke in den vierten oder fünften Stock schleppen. Zwölf Stunden pro Tag, ohne Unterbruch, ein aufreibender Job.
Der Gipfel dabei: ich wurde nicht bezahlt dafür. Als ich meinen Lohn verlangte, wurde ich rücksichtslos hinausgeworfen. Gleichzeitig verlor ich meine Unterkunft.
Ich wäre nicht überrascht, wenn der angebliche Wohltäter unter einer Decke steckt mit jenen, die mich wegen des Zimmers der Grossmutter erpressten.

Der nette Polizist
Und so bin ich auf der Strasse, alles wurde mir geraubt.
Er heisst Witaly Nikolaiewitsch. Er sagt zu mir: „Keine Angst, Sie sind ein intelligenter Kerl, es wird schon gehen“. Er kaufte mir eine Busfahrkarte nach Peter (St. Petersburg).
Und so bin ich unterwegs in die grosse Stadt, völlig mittellos. Und ich erinnerte mich an Nochlezhka.
Schon vor sechs Jahren hörten wir im Waisenheim von dieser Nichtregierungs-Organisation, die sich um die Russen ohne Ausweispapiere kümmert.
Bei Nochlechka fühle ich mich gut, jedoch ist der Alterunterschied zu den Mitbewohnern schwierig für mich. Ich zog das Waisenheim vor, weil ich dort mit Jungen meines Alters war, hier sind sie 10, 20 Jahre älter. Dafür gibt es bei Nochlezhka Lehrer. Zur Zeit interesssiere ich mich leidenschaftlich für die Informatik. Und dann gibt es auch den juristischen Dient, der bereits einen Teil meiner Familie gefunden hat
Meine Tante und ihre Angehörigen, die sich aber völlig von mir abgewendet haben Als sie gehört haben, dass ich hier bin, haben sie lediglich gesagt: „Slawa ist jetzt erwachsen, zudem führen wir unser eigenes Leben“.

Ich kann niemandem mehr mein Vertrauen schenken
Diese Ablehnung ist eine weiterer Schlag für mich und ich muss zugeben, dass ich heute niemandem mehr mein Vertrauen schenken kann.
Auch dem etwa vierzigjährigen Sascha, einem guten Klassenkameraden, nicht. Er empfiehlt mir, den Beruf des Programmierers von Grund auf zu lernen.
Ich interesssiere mich aber auch für die Koch- und die medizinische Sparte. Ja, und da gibt es  noch den Salsa: DJ werden. Eines ist klar: ich habe grosse Angst vor dem Tod. Ich will nicht mit 23 sterben. Ich möchte glücklich sterben, nicht einsam.
Heiraten?
Ich warte auf eine Frau, die mich versteht. Alle sagen mir, dass ich eine entschlossene Frau brauche. Eine Tatarin, die Tataren haben Charakter.

Heute kann ich nicht einmal meinem Leben vertrauen, wie denn einer andern Person?

Slava vixodit v internet s noutbuka soseda po komnate

Fotograf: Alexey Loschtschilov